Trio 3: Auf den Hund gekommen

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Das literarische Trio kommt so kurz vor Weihnachten auf allen Vieren daher. Umgeben von Anhängern des „besten Freundes des Menschen“ möchte man den stolzen Besitzern nun denn doch aus Mangel an Alternativideen keine Knochen oder Knautschtiere als Präsent unter den Baum legen. Also muss die passende Lektüre ins Geschenkpapier gewickelt werden. Drei Vorschläge, mit denen man sprachlich und stilistisch zumindest nicht auf den Hund kommt.

sandormariaWeihnachten in Ungarn: Der Herr des Hauses hat nur noch wenige Groschen in der Tasche. Wie jedes Jahr ist abgesprochen mit der Dame des Hauses: Man schenkt sich nichts. Das kennt man ja aus eigener Erfahrung – wer dann mit leeren Händen dasteht, ist der/die Dumme. So geht der Herr an Heiligabend noch los und landet vor einem Hundezwinger (dies sind die Geschenke, vor denen alljährlich gewarnt wird – doch dieser Roman endet zwar auch tragisch, jedoch nicht mit einer Aussetzung des Tiers vor dem nächsten Sommerurlaub). Das Verhängnis nimmt seinen Lauf: Das kleine Bündel erobert nicht nur das Herz der Hausherrin im Sturm, sondern beginnt bald den Tagesablauf zu dominieren. Die perfekte Täuschung, was Rasse und Charakter anbelangt: “Klein ist sogar der Teufel süß”, muss der Besitzer resigniert feststellen. „Herr mit Hund“ ist eine amüsante und ironische literarische Betrachtung dieses eigenartigen Verhältnisses zwischen Mensch und Vierbeiner. Leicht und wunderbar lesbar, mit einem Schuss Melancholie: Dafür steht Sándor Márai (1900-1989). Der ungarische Romancier wurde bei uns mit „Die Glut“ wiederentdeckt, seit 1998 erscheinen seine bereits in den 30er Jahren gefeierten Bücher beim Piper Verlag wieder.

timbuktu„Wer wollte behaupten, dass Hunde, wenn sie schon unempfänglich für die Anziehungskraft von Ölgemälden und Streichquartetten waren, nicht auf eine Kunst reagierten, die auf Gerüchen basierte? Warum keine olfaktorische Kunst?“ Eine Kunst, die sich mit der Welt der Hunde auseinandersetzt – solche Gedanken schwirren im Kopf von Mr. Bones herum. Mr. Bones ist eben auch keine einfache Promenadenmischung, sondern als Begleiter eines Poeten ein Philosoph unter den Hunden. 1999 veröffentlichte Paul Auster den Roman „Timbuktu“, der aus der Perspektive eines Hundes erzählt wird. Mr. Bones gehört zu Willy G. Christmas – einem umherstreifenden, mittellosen Poeten, der schließlich vor dem Haus von Edgar Allan Poe stirbt. Der Hund ohne Herr schlägt sich noch einige Zeit durch, bis er sich auf dem Highway in den Freitod stürzt – auf dem Weg nach „Timbuktu“, dem von Willy Christmas geschilderten Paradies. Der Roman stieß auf unterschiedliche Resonanz – manchen war der Blick auf die Armen, Obdachlosen, Herumstreunenden aus der Sicht eines Hundes zu klischeehaft. Ich meine: es ist ein poetisches Stück Literatur, tieftraurig, weise, streckenweise auch amüsant und ironisch. Die Bücher Austers erscheinen im Rowohlt Verlag.

9783423118231Und zuletzt der schwerste literarische Hundekuchen: Der letzte Teil der „Danziger Trilogie“ von Günter Grass ist kein „Leckerli“ nach dem Apportieren oder für Zwischendurch. Vor 50 Jahren, 1963, erschien dieser Roman, der voller Einfälle, Neben-Erzählungen und Abweichungen steckt. Auf einen Nenner bringen kann man “Hundejahre” kaum – wenn, dann mit dem Zitat: “Der Hund steht zentral”. Auf den Spuren des Hundes Pluto, einst Hitlers Schäferhund, kann man an dieser ausufernden Geschichte langmäandern – sie geben so etwas wie einen ungefähren Leitfaden. Eine ausführliche Besprechung findet sich bei den Bloggerinnen von „Schöne Seiten“: http://caterinaseneva.wordpress.com/2010/03/03/kapitel-iv-ungeheuerlich-ungewohnlich-unverhofft/

„Hundejahre“ ist ein wildes, kraftvolles Buch, über das Hans Magnus Enzensberger urteilte: “Ein Stück Literatur von großer sprachlicher Kraft, ein Hagelschauer von Einfällen und Provokationen, eine Anthologie von glänzend erzählten Kurzgeschichten, poetischen Kadenzen und satirischen Bravourstücken.” Grass selbst hält es für sein wichtigstes Werk – noch vor der Blechtrommel.

Hundejahre von Günter Grass: Mit dem Kauf einer Lithographie unterstützt man die Kulturstiftung der Stadt Lübeck. Mehr Informationen unter http://grass-haus.de/

Hundejahre von Günter Grass: Mit dem Kauf einer Lithographie unterstützt man die Kulturstiftung der Stadt Lübeck. Mehr Informationen unter http://grass-haus.de/

Im November dieses Jahres wurde im Günter Grass-Haus in Lübeck eine Sonderausstellung zu „50 Hundejahre. Künstlerroman, Ammenmärchen, Heimatfibel” eröffnet.

Alle Heiligen! Albert Christian Sellners etwas anderer Heiligenkalender

Passend zur Jahreszeit rund um Allerheiligen empfiehlt Klaus Krolzig ein besonderes Buch -  Albert Christian Sellners “Immerwährenden Heiligenkalender”.

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Bild: GL

Vor genau 20 Jahren hat Hans Magnus Enzensberger diesen Band in der Anderen Bibliothek herausgegeben und belegte seinerzeit den 1. Platz in der Bestenliste der Sachbücher.
Sein Aufbau folgt dem traditionellen Muster katholischer Erbauungsliteratur: Für jeden Tag des Jahres findet der Leser die kurze Lebensbeschreibung eines Heiligen, umfangreiche Register listen Namen und Todesdaten auf. Denn der Todestag des Heiligen war seine himmlische Geburtsstunde. Ein zweites Register nennt die Patronate der einzelnen Heiligen. Kosmas und Damian als Fürsprecher der Ärzte, der Erzengel Gabriel als Schutzheiliger der Briefträger und der Telekom.
Sellners lakonische Art die Heiligengeschichten nachzuerzählen, verleihen diesen die Leichtigkeit von Kalendergeschichten, in denen es nicht selten um Orgien der Frömmigkeit und der Gewalt geht. Die vielen Geschichten von Jungfrauen, die mit List und Tücke ihre Keuschheit bewahren, wirken in ihrer vordergründigen Leibfeindlichkeit besonders lustvoll und sinnlich. Dem gegenüber stehen Märtyrerlegenden mit prallem Sado-Maso-Stoff, die der empfindsamen Seele in ihrer Bildhaftigkeit das Gruseln lehren.

Albert Christian Sellner
“Immerwährender Heiligenkalender”
Die Andere Bibliothek 1993
Nur noch antiquarisch lieferbar

Schlimmer geht`s nimmer: Literaturreisen mit Enzensberger

Jetzt ist es wieder soweit. Was mussten wir nicht alles ertragen an katastrophalen Reiseerlebnissen unserer Freunde und Verwandten und natürlich deren fotografische Zeugnisse von übervollen Stränden und Berge, Berge, Berge…  Doch es waren nicht die schlimmsten Reisen der Welt. Denn mit dem, was Hans Magnus Enzensberger  in “Nie wieder! Die schlimmsten Reisen der Welt” darbietet, kann das kaum mithalten. Dieses Buch ist eine gedruckte Medizin gegen Reisefieber und hinterläßt beim Leser die Erkenntnis, daß die Vorstellung einer Reise oft schöner ist als die Reise selber.

HME sieht im Massentourismus eine besonders perfide Form des  Kreuzzugs und will mit diesem Buch nur eines erreichen, und dieses sagt er deutlich: “Abschreckung”. Und was gibt es Schöneres für einen Reisemuffel wie mich, als sich seiner Empfehlung vorbehaltlos anzuschließen, sich im Sessel zurückzulehnen und in den Schreckenberichten zu schmökern. Diese Horrorstücke aus aller Welt haben jedoch mit dem zeitgenössischen Fernreisebetrieb wenig zu tun und sind eher Beispiele für einen ausgeprägten Individualtourismus.

35 dramatische, bizarre und mitunter komische Reportagen hat HME zusammengetragen. Seine literarisch Reisenden sind nicht etwa Amateure, sondern die absoluten Profis. Kapuscinski, Theroux, Chatwin, Bouvier. Die legten binnen eines Monats mehr Kilometer zurück als wir in anderthalb Leben. Und schlingerten von einer Katastrophe zur nächsten. Was ist diesen “Reisemasochisten” nicht alles widerfahren:   Der Schriftsteller Evelyn Waugh schipperte 1931 in teuflischen Unwettern mit dem Schaufelraddampfer den malariaverseuchten Kongo hinauf, Bruce Chatwin entrann mit Mühen den Wirren eines Militärputsches im westafrikanischen Benin und der polnische Autor Ryszard Kapuscinski wäre 1991 im sibirischen Workuta fast erfroren, als er sich bei -35 Grad mitten in der gottverlassenen Stadt verirrte.

Man lese nur einmal den Bericht von Evelyn Hall, vom Versuch, den “Mexikanischen Adler”, einen Nachtzug, zu erreichen. Einmal abgesehen vom trüben Nieselregen, der gemeiner als jeder ehrliche Wolkenbruch Gepäck und Kleidung durchtränkt, gehen dem Reisenden die mexikanischen Beamten an die Nieren, die ihn durch den Regen von einem Bahnsteigende ans andere hetzen, weil er vor Besteigen des Zuges eine unauffindbare Zollstation passieren muß. Oder Alfred Döblin in Krakau! Was kann es Schlimmeres für einen Dichter geben, als von “inferioren” Elementen, wie er sich ausdrückt, um ein Trinkgeld gebeten zu werden, also für etwas zu bezahlen, das er niemals bekommen hat. Reisen bildet, heißt es. Döblin und andere variieren diese Erkenntnis zu einem bisweilen bitteren “Reisen kostet”.

Der Reiseleiter Enzensberger hat zwischen diese Erlebnisberichte philosophische Fundsachen und Reisereflexionen gestreut, die zum Nachdenken über Sinn und Unsinn des Reisens anregen. Wie auch immer, die stattliche Sammlung erbitterter Reisegegner unterhält prächtig und ließ mich an Ringelnatz und dessen Touristenpaar denken: “Es waren einmal zwei Ameisen, die wollten nach Australien reisen. Doch in Altona auf der Chaussee, da taten ihnen die Beine weh. Und so verzichteten sie weise, auf den restlichen Teil der Reise.”

Klaus Krolzig