Christopher Isherwood: Kondor und Kühe. Ein südamerikanisches Reisetagebuch.

„Ich habe noch nie so viele Buchhandlungen gesehen. Zusätzlich zu Dutzenden von lateinamerikanischen Autoren, von denen ich noch nie gehört habe, haben sie auch zahllose Übersetzungen auf Lager – alles von Platon bis Louis Bromfield. Bogotá ist natürlich berühmt für seine Kultur. Es gibt einen Ausspruch, soweit ich weiß, dass hier sogar die Schuhputzjungen Proust zitieren. Es ist schön, sich einen von ihnen vorzustellen, wie er Bürste in der Hand, innehält, um zu bemerken: Tatsächlich liegt in der Liebe beständiges Leiden, das die Freude zwar neutralisiert, in bloß potenziellem Zustand erhält und aufschiebt, das aber jeden Augenblick werden kann, was es seit Langem wäre, wenn man nicht das erlangt hätte, was man wollte: entsetzlich…“

Christopher Isherwood am 12. Oktober 1947 in Bogotá in: „Kondor und Kühe“, Liebeskind Verlag, 2013.

Der britische Schriftsteller Christopher Isherwood (1904-1986) war, wie zahlreiche seiner Landsleute, lebenslang auch ein Reisender. Seine Reisebücher und Essays darüber sind hierzulande jedoch weitgehend unbekannt – Isherwood ist vor allem im Gedächtnis für seinen Roman „Leb wohl, Berlin“, die Vorlage für das berühmte Musical „Cabaret“ und für „A single man“, 2009 atemberaubend auf die Leinwand gebracht von Tom Ford, das gelungene Filmdebüt des Modedesigners.
So dauerte es leider bis 2013, dass ein Verlag so mutig war, das südamerikanische Reisetagebuch Christopher Isherwood ins Deutsche übersetzen zu lassen: „Kondor und Kühe“, übersetzt von Matthias Müller, erschienen im Münchner Liebeskind Verlag. Ein Gewinn für alle, die gerne lesend reisen und für jene, die sich in lateinamerikanischer Politik und/oder Kultur auskennen. Und das (freilich vom Autor noch vor Erscheinen redigierte) Tagebuch eines großen Stilisten: Isherwood beobachtet genau, analysiert messerscharf, schreibt brillant.

1947 besteigen er und sein Reise- wie Lebensgefährte, der Fotograf William Caskey, mit dem ihn eine fünfjährige, teils destruktive Beziehung verband, ein Schiff in New York.

„Er ist sechsundzwanzig Jahre alt, ein Ire aus Kentucky. Wahrscheinlich würde Dr. Sheldon ihn als einen kleinen viscerotonischen Mesomorphen klassifizieren. Seine Freunde vergleichen ihn oft, durchaus nett gemeint, mit einem Schwein. Dem brauche ich nichts hinzuzufügen. Er wird sich wahrscheinlich selbst beschreiben, ganz allmählich, in dem Maße, wie der Bericht unserer Reise fortschreitet. Er ist Fotograf von Beruf und begleitet mich, um Fotos für das Buch zu machen.“

Nun: Die Fotos sind es nicht, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Dagegen Isherwoods Beobachtungen. Er sagte von sich selbst: „I am a camera“. Und so saugt er auf dieser Reise, die bis März 1948 währt, Bilder eines Kontinents im ewigen Unruhezustand auf, die er zu Papier bringt. Auf teils abenteuerlichen Routen, mit dem Schiff, Zug, Bus, seltener mit dem Flugzeug, reisen die beiden Männer über Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Peru, Bolivien bis Argentinien. Freilich erleichtert seine Bekanntheit als Schriftsteller Isherwood den Kontakt zu Land und Leuten und ermöglicht ihm Einblicke, die einem Rucksacktouristen nicht gewährt werden. Da hält er Vorträge vor literarischen Zirkeln, wird von den jeweiligen amerikanischen und britischen Botschaftern gerne auch mal betüttelt, trifft alte Freunde aus Berliner Zeit, Exilanten, die vor den Nazis fliehen mussten und in Südamerika eine neue Heimat fanden.

Freilich ist Isherwood jedoch intelligent und ironisch genug, um sich von den Fassaden der oberen Gesellschaftsschichten nicht blenden zu lassen – in langen Passagen setzt er sich mit den politischen Unwägbarkeiten Lateinamerikas auseinander, mit der Rolle der Kirche, der Armut der Landbevölkerung und der Stellung der Indios. Und immer wieder wird die Faszination für das Andere, das Fremde, selbst dessen grausame Seite, deutlich:

„Es ist ein gewalttätiges Land. Donner und Lawinen in den Bergen, riesige Überschwemmungen und Gewitter auf den Ebenen. Vulkane explodieren. Die Erde bebt und teilt sich. Die Wälder voller wilder Tiere, giftiger Insekten und tödlicher Schlangen. Ein falsches Wort, und ein Messer wird gezogen. Ganze Familien werden ohne Grund ermordet. Unruhen sind überraschend und blutig und oft sinnlos. Autos und Lastwagen werden mit einer Gleichgültigkeit, die schon beinahe selbstmörderisch ist, ineinander oder über Felsvorsprünge gefahren. Solch eine Energie in Zerstörung. Solche eine Apathie, wenn es darum geht, etwas zu reparieren oder zu bauen. So viel Humor in Verzweiflung.“

Die Reise liegt nun beinahe 70 Jahre zurück. Warum also ein Reisetagebuch lesen, von dem man annehmen könnte, alle Beobachtungen darin sind bereits überholt, alle Entdeckungen, die Bücher wie diese interessant machen könnten, waren bereits schon zuvor gemacht?
Nun, zum einem: Die Natur bleibt, wo sie nicht mutwillig vom Menschen zerstört werden kann, unabänderlich – noch immer kreisen Kondore, noch immer ist Argentinien geprägt von ihrer Pampa, schüchtern die Schneegipfel der Anden mit ihrer Mächtigkeit ein, birgt die von Isherwood geprägte Route atemberaubende Anblicke. Obwohl bekennende Reisemuffelin, kann ich dies doch aus eigener Anschauung bestätigen – einen Teil der Route, wenn auch einen kleineren mit weniger Zeit, nahm auch ich einstmals auf mich und ward überwältigt.
Und nachvollziehen kann ich auch die Todesängste, die Isherwood bei manchem Reiseabschnitt durchlitt und humorvoll kommentiert: Busfahrer, die mit Höchstgeschwindigkeiten Haarnadelkurven am Abgrund nehmen, Piloten, die durch den Nebel stochern, Buse, die notorisch unpünktlich kommen und dich irgendwo im Nirgendwo aussetzen – auch das ist eine Konstante.
Vor allem aber sind Isherwoods Bemerkungen über die politische Entwicklung dieses Kontinents, der lange in Abhängigkeiten gehalten wurde – von den spanischen und portugiesischen Eroberern und deren verlängertem Arm, der Kirche, später von den Weltmächten USA und UdSSR – hellsichtig und – leider – immer noch höchst aktuell.

„Doch die neuen Republiken sind noch nicht wirklich frei, nicht wirklich einheitlich. Sie sind noch keine Nationen geworden. (…) Um Nationen zu werden, müssen sie aufhören Kolonien zu sein. Die Natur arbeitet an diesem Projekt, vermischt allmählich Indios mit Latinos. Doch die Natur arbeitet sehr langsam. Und währenddessen fegt eine große Flut sozialer Revolutionen über die Welt. Eine Flut, die Kommunisten und andere zu lenken und zu kontrollieren versuchen. In Kolonialländern muss dieser gesellschaftliche Aufstand der Unterprivilegierten auch die Form eines rassischen Aufstands annehmen (…). Die unmittelbaren Aussichten sind beängstigend. Jahrzehnte der Unruhe. Militärherrschaft. Herrschaft des Pöbels. Endlose Gewalt, unterbrochen nur durch Perioden schierer Erschöpfung. Ausländische Intervention, die vielleicht für eine Weile eine unpopuläre Disziplin auferlegt. Dann noch mehr Revolten, noch mehr Blutvergießen…Oder bin ich zu pessimistisch? Es gibt Kräfte auf der anderen Seite, die friedliche Veränderung und Entwicklung betreiben. Sie sind vielleicht viel stärker, als sie aussehen.

Noch, so scheint es, ist diese Entwicklung nicht abgeschlossen.

5 Gedanken zu „Christopher Isherwood: Kondor und Kühe. Ein südamerikanisches Reisetagebuch.

  1. Sofort ist mir aufgefallen, dass Isherman am selben Tag wie ich Geburtstag hat. Ehrlich gesagt bin ich erst bei dir auf diesen Herrn gestoßen. Wenn er von sich selbst sagt ..”i am a camera”, dann bin ich gespannt, wie Christopher I. seine Beobachtungen zu Papier gebracht hat. Hach, ich liebe Reisetagebücher. Danke für diesen inspirierenden Beitrag. Ich schätze, das Buch ist bald mein eigen.

    LG, Tanja

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