Es geht um Poesie. Und um einen Platz für die Romantik.

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Bild: Rose Böttcher

Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren (1800)

Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen
Wenn die, so singen oder küssen,
Mehr als die Tiefgelehrten wissen,
Wenn sich die Welt ins freye Leben
Und in die Welt wird zurück begeben,
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
Zu ächter Klarheit wieder gatten,
Und man in Mährchen und Gedichten
Erkennt die wahren Weltgeschichten,
Dann fliegt vor Einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort.

Novalis (Freiherr von Hardenberg, 1772-1801).

Quelle: „Es geht um Poesie. Schönste Texte der deutschen Romantik“, herausgegeben von Anne Bohnenkamp, Fischer Taschenbuch, November 2013, ISBN 978-3-596-19857-3.

Besonderheit:
Mit dem Kauf des Buches (Preis 8,00 Euro) spendet man 2 Euro für den Bau des Deutschen Romantik-Museums in Frankfurt - tolle Sache!

Hab nun ach, Sturm und Drang, Klassik, Dadaismus und Expressionismus studiert, ich armer Tor und bin so unromantisiert
wie als zuvor. Was heißen soll: Um die Epoche der Romantik habe ich bislang einen Bogen gemacht. Instinktiv. Von den großen Namen - von Armin, Brentano, Günderrode, Eichendorff - nur wenig gelesen, bis auf das, was fast schon Allgemeingut ist. „Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus….“. Heinrich Heine, der große Ironiker und scharfzüngige Analyst seiner Zeit, blieb eine Ausnahme. Novalis` „Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren“ unter der Kategorie Jugendschwärmerei verbannt.

Manche literarischen Strömungen setzen wohl ein gewisses Lebensalter und eine Lesereife bei ihren Rezipienten voraus. Bis zu einem Zeitpunkt im Leben meint man, alles gestalten zu müssen und auch zu können. Da ist das In-Sich-Gehen, das Hinterfragen, auch das Zögern keine Qualität, die man auslebt. Und dann kommt auch noch Goethe mit seinem Verdikt: „Das Klassische nenne ich das Gesunde, und das Romantische das Kranke.“ Bloß keine Nabelschau.

Erst später, um einige Erfahrungen reicher, wird einem bewusst, dass aufgeklärtes Denken an seine Grenzen stößt. Nüchtern betrachtet: Nicht alles ist mach- und lenkbar. Im Kern der Welt wohnt ein Rest Magie. Ganz im Innern der Welt gibt es ein Geheimnis, das man mit „Zahlen und Figuren“ nicht erfassen kann. Dann ist die Zeit gekommen, die Romantik als literarische Gattung wieder zuzulassen.

So wie Goethe jedoch die Romantiker in eine Nische stellt, so spotteten übrigens jedoch auch diese. Das berühmte Gedicht von Novalis grenzt in seiner Wenn-dann-Folge die Poesie, die Romantik von den aufgeklärten Geistern, den „Tiefgelehrten“ ab. Sie werden, so macht er deutlich, das Geheimnis der Welt nie erfassen. Beides jedoch birgt seine Möglichkeiten. Die Vereinigung von Poesie und Wissenschaft kann möglich sein. Auch das nüchterne Denken kann offen bleiben für die Magie der Welt: Dies wäre der Königsweg. Novalis schreibt in seinem Roman „Heinrich von Ofterdingen“, es läge „mehr Wahrheit in einem Märchen als in gelehrten Chroniken“. Den Chroniken etwas Märchenhaftes zuzugestehen, die Märchen aber als Chronik der menschlichen Verfasstheit zu lesen - das müsste doch möglich sein.

BildWer sich der Philosophie und Anschauung der Romantiker nähern möchte, der kann das mit einer neuerschienenen Anthologie unternehmen - und dabei gleichzeitig noch die Kulturszene ganz aktiv unterstützen. Anne Bohnenkamp, die Direktorin des Frankfurter Goethe-Hauses, hat für das Taschenbuch „Es geht um Poesie“ einen Überblick mit wichtigen Texten der Romantik zusammengestellt. Mit Auszügen aus Eichendorffs „Taugenichts“ bis hin zu Gedichten von Heinrich Heine, Karoline von Günderrode, Justinus Kerner, Essays und Briefwechseln, so zwischen den Brentanos oder auch zwischen Kleist und Goethe. Ein Teil des Kaufpreises kommt einem besonderen Projekt zugute: In Frankfurt am Main sitzt das Freie Deutsche Hochstift, das seit einem Jahrhundert die Manuskripte der deutschen Romantiker sammelt, ebenso aber auch Zeugnisse der Bildenden Kunst sowie der Alltagskultur dieser Zeit. In Nachbarschaft zu Goethehaus und Goethemuseum besteht die Möglichkeit, ein Literaturmuseum der deutschen Romantik anzusiedeln. Mit Kauf der Anthologie unterstützt man diese Pläne aktiv.

„Sie möchte Lust machen auf fortgesetzte Lektüre - und  auf ein Deutsches Romantik-Museum, das nicht zuletzt die romantische Utopie einer Emanzipation der Literatur aus der Bindung an die einsame Lektüre in unsere heutige Zeit tragen will: im experimentellen und multimedialen Raum einer Ausstellung des 21. Jh.s, die dabei gleichzeitig den >alten< Medien - der Handschrift und dem Buch - gewidmet sein wird.“, schreibt Anne Bohnenkamp im Vorwort.

Und im Moment des Schreibens dieses Beitrags sehe ich die aktuelle Nachricht: Das Museum kommt. Wenn das nicht romantische Poesie im Alltag ist! (Quelle: Frankfurter Neue Presse - http://www.fnp.de/lokales/frankfurt/Romantikmuseum-kommt;art675,704976)

Zum Abschluss soll noch ein Romantiker das letzte Wort haben:

Der Abend (1826)

Schweig der Menschen laute Lust:
Rauscht die Erde wie in Träumen
Wunderbar mit allen Bäumen,
Was dem Herzen kaum bewußt,
Alte Zeiten, linde Trauer,
Und es schweifen leise Schauer
Wetterleuchtend durch die Brust.

Joseph von Eichendorff