#VerschämteLektüren (17): Eine Spannungsautorin mit Hang zu ulkigen Weihnachtsmännern

“Wieder rammten sich Rasierklingen durch seine Trommelfelle. Eine Türklingel, schrill und fordernd. Jemand klopfte mit der Faust. Rüttelte an einer Tür. Rief Tareks Namen – er solle endlich aufmachen!“

Das ist ein Zitat aus dem Schlusskapitel in „Für Immer Mein“ von Ellen Dunne. Es ist ihr zweiter Roman nach „Wie Du Mir“, einem Krimi, der in Nordirland spielt. Man sieht – Ellen macht es spannend. Umso erstaunlicher sind ihre vergnüglichen und jahreszeit-angemessenen #VerschämteLektüren, die uns die Schriftstellerin hier beichtet…

ellen4Auf ihrem Blog http://www.ellen-dunne.com/ finden sich auch interessante und amüsante Geschichten über ihre Wahlheimat Irland, Texte und Rezensionen und dieses Selbstportrait:

„Geboren wurde ich 1977 in der Nähe von Salzburg. Mit 12 begann ich auch abseits der Schulbank Notizhefte mit Geschichten zu füllen. Für Irland und seine Geschichte interessiere ich mich seit den frühen 90ern. Seit 1996 arbeite ich in der Werbung als Texterin und Teamleiterin für die klassische und online-Werbebranche.

Seit 2004 lebe ich in Irland, nur 2010/2011 habe ich zwei Jahre Pause eingelegt für Aufenthalte in Berlin und München. Danach bin ich wieder südlich von Dublin gelandet, bin selbstständige Texterin/Kreativ-Übersetzerin – und schreibe Romane über normale Menschen in außergewöhnlichen Situationen. Übrigens noch immer in Notizhefte. Da bin ich ganz 12 geblieben.“

Ein außergewöhnlicher Mensch in einer normalen Situation – das ist jedoch die Ausgangslage zu Ellens #VerschämteLektüren:

Raymond Briggs und sein grantiger Weihnachtsmann

Es gibt zwei Bücher aus meiner Kindheit, die lese ich wie ein Uhrwerk jedes Jahr zu Weihnachten mindestens einmal durch, a) weil sie eigentlich Comics sind und trotz der Vorweihnachtshektik immer drin sind und b) weil ihr Humor so richtig schön britisch und zeitlos ist:

ellen1O je, du fröhliche

Im Grunde erinnert mich Raymond Briggs’ Weihnachtsmann an einen älteren, etwas einsamen und brummeligen Herren, der in seiner arbeitsreichsten Nacht mit Wind, Wetter, schmutzigen Kaminen und seiner zunehmenden Abneigung gegen die Kälte kämpft. Nach getaner Arbeit zieht er sich dann zu seiner privaten Feier zurück, nur um von den Verwandten mit gar schröcklichen Socken, Krawatten und ähnlichen Standardgeschenken abgespeist zu werden. Die warmen Illustrationen machen mir jetzt noch ein ganz heimeliges Gefühl.

Was macht der Weihnachtsmann im Juli?

Doch eine besonders liebenswerte Idee ist die des Weihnachtsmannes, der wie wir alle mal Urlaub braucht und sich mit seinem umgebauten Schlitten um die Welt macht. Auf der Suche nach der perfekten Erholung kämpft er mit kulturellen Unterschieden, Reisedurchfall und den Nachteilen seiner internationalen Bekanntheit … Und was soll ich sagen? Die Idee klingt so einfach und ist doch so gut und lustig umgesetzt, ich kichere jetzt noch jedesmal, wenn ich ihn da am Pool liegen sehe und Cocktails schlürfen.

ellendrei So macht mir Raymond Briggs jede Adventszeit wieder den Weihnachtsmann zu meinem heimlichen Wunschopa und mich zum Kind. Aber wer will schon erwachsen werden, solange es so gute Kinderbücher gibt?

Frohe Weihnachten Euch allen!

Und hier geht es zum Blog von Ellen Dunne:
http://www.ellen-dunne.com/

James Joyce: Chamber Music (1907).

Dear heart, why will you use me so?
Dear eyes that gently me upbraid,
Still are you beautiful — but O,
How is your beauty raimented!

Through the clear mirror of your eyes,
Through the soft cry of kiss to kiss,
Desolate winds assail with cries
The shadowy garden where love is.

And soon shall love dissolved be
When over us the wild winds blow-
But you, dear love, too dear to me,
Alas! why will you use me so?

Lean out of the window,
Goldenhair,
I heard you singing
A merry air.

My book was closed;
I read no more,
Watching the fire dance
On the floor.

I have left my book,
I have left my room,
For I heard you singing
Through the gloom.

Singing and singing
A merry air,
Lean out of the window,
Goldenhair.

Was oftmals in den Hintergrund gerät: James Joyce schrieb auch Lyrik. Joyce’s erstes Buch, das publiziert wurde, war die Sammlung von Liebesgedichten unter dem Namen “Chamber Music”. Seine Lyrik fiel unter anderem T.S. Eliot und Ezra Pound auf, der über „Chamber Music“ schrieb: “the quality and distinction of the poems in the first half … is due in part to their author’s strict musical training … the wording is Elizabethan, the metres at times suggesting Herrick.”

Die Gedichte wurden mehrfach vertont, unter anderem von Geoffrey Moyneux Palmer, Ross Lee Finney, Samuel Barber und Syd Barrett von Pink Floyd. James Joyce veröffentlichte drei Gedichtbände: Kammermusik (1907), Pöme Penysstück(1927); Collected Poems (1936). 1932 jedoch hatte er bereits schon damit aufgehört, Lyrik zu schreiben.

Im Vorwort des insel-Taschenbuches „James Joyce – Liebesgedichte“ heißt es:
“Die Joyceschen Liebesgedichte orientieren sich handwerklich perfekt an älteren Formen, füllen aber dieses Formenrepertoire mit einer modernen Auffassung dessen, was die Liebe ist. Der Effekt ist eine eigenartige Spannung. Sie klingen sprachlich, rhythmisch und reimtechnisch nach einer vergangenen Zeit, transportieren freilich Sehnsüchte, die durchaus modern sind. Joyce ging es darum, »die perfektesten Liebeslieder unserer Zeit« zu schreiben, was in seinen Augen nur möglich war, solange er nicht wirklich verliebt war, sondern dichtend eine ideale, überwirkliche Liebe besingen konnte.”

Enrique Vila-Matas: Dublinesk (2013).

„Er wendet sich wieder den Zeitungsnachrichten zu und liest, dass Claudio Magris meint, die Reise im Kreis wie bei Odysseus, der wieder heimkehrt - die traditionelle, klassische, ödipale und konservative joycesche Reise -, werde um die Mitte des 20. Jahrhunderts ersetzt durch die lineare Reise nach vorn: eine Art Pilgerfahrt, eine Reise, die immer weiter führt, auf einen unmöglichen Punkt der Unendlichkeit zu, wie eine gerade Linie, die zögernd ins Nichts vorstößt.
Er könnte sich jetzt als Reisender geradeaus begreifen, doch er will keine Probleme und beschließt, dass seine Lebensreise traditionell, klassisch, ödipal und konservativ verlaufen soll.“

„Riba neigt nicht nur dazu, das Leben zu lesen wie einen literarischen Text, sondern bisweilen sieht er die Welt auch als ein wüstes Gestrüpp oder Knäuel.“

„Seit jeher hegte er eine große Bewunderung für Schriftsteller, die jeden Tag aufs Neue eine Reise ins Unbekannte wagen und dabei doch den ganzen Tag nur in ihrem Zimmer hocken. Hinter verschlossenen Zimmertüren bewegen sie sich nicht weg vom Fleck, und dennoch finden sie gerade in dieser Begrenzung die absolute Freiheit, der zu sein, der sie sein wollen, sich dorthin zu begeben, wohin auch immer ihre Gedanken sie führen.“

Enrique Vila-Matas, “Dublinesk”, 2013, Die andere Bibliothek

Also noch einer, der von Joyce, Bloom und Dublin nicht lassen kann. Enrique Vila-Matas erzählt von einem alternden Verleger, aus dem Literaturgeschäft ausgestiegen, dem Alkohol entsagt, in der Ehe fremdelnd, den wenigen Freunden entfremdet, in den Weiten des Internet verloren. Eine Reise nach Dublin soll eine Wende bringen - zum Guten oder zum Schlechten. Auf den Spuren von Joyce und Bloom soll die Literatur zu Grabe getragen werden. Die Reise wird dublinesk, grotesk, burlesk.
Eingeschränkte Leseempfehlung meinerseits: Ein Buch über die Literatur voller Anspielungen und Bezüge auf alles, was Rang und Namen hat - Magris, Pessoa, Freud, Robert Walser, Hugo Claus, Gadda, Melville. Es bleibt unter anderem der Eindruck zurück, dass Vila-Matas hier nicht nur seiner eigenen Literaturbessenheit freien Lauf lässt, sondern sie auch ein wenig zur Schau stellt. Dazwischen aber wunderbare Textpassagen, Reflektionen, Selbstfindungsabsätze - über die drei wichtigen “L”: Das Leben, die Liebe, die Literatur.
Kein leichtes Lesevergnügen, auch wegen zeitweiliger Redundanz und Langatmigkeit. Aber eine Fundgrube für Joyce- und Beckett-Fans.

In der Bloggerwelt stieß jedoch die deutsche Übersetzung und das Lektorat auf harsche Kritik. Zum Weiterlesen seien folgende Links empfohlen:

http://www.enriquevilamatas.com/escritores/escrschlickerss1.html

http://andreas-oppermann.eu/2013/07/13/hat-der-lektor-von-enrique-vila-matas-dublinesk-zu-viel-getrunken/

http://www.theomag.de/83/am395.htm

http://kopkastagebuch.wordpress.com/2013/07/10/glucklich-wie-ein-trottel/

Reto Hänny: Blooms Schatten (2014).

Alleswahr (3)„danach – war`s anders zu erwarten – der natürlich noch wach Liegenden (einladend vor ihm geöffnet, halb auf der Seite jetzt, der linken, die linke Hand unter dem Kopf, das rechte Bein gestreckt auf dem angewinkelten linken ruhend, erfüllt, entspannt, von Samen strotzend voll), beim Rapport ihr den Ritus des Onan und andere ihm unangenehme Vorkommnisse geflissentlich unterschlagend, vom Frühstück am Morgen über die Beerdigung bis zu seinem jetzigen Bei-ihr-Liegen in großen Zügen fein säuberlich den verflossenen Tag rekapituliert,“

Reto Hänny, „Blooms Schatten“, 2014, Matthes & Seitz Berlin

1 Buchseite nimmt dieser Absatz im Literaturexperiment des Schweizer Schriftsteller Reto Hänny ein – allein der Akt des Zu-Bettgehens eines gewissen Leopold Bloom erstreckt sich in der berühmten Vorlage über zahlreiche Absätze, eingeleitet durch Fragen, die jeden Gedanken des Bloom, insbesondere über den Liebhaber seiner Molly, festzuhalten versuchen.
Man schlage selber den „Ulysses“ nach, um zu lesen, wie sich bei James Joyce der Bloom im Bett erstreckt. Hier einige Beispiele, stark reduziert:

„Was für Gedanken hegte er bezüglich des letzten Gliedes dieser Reihe und kürzlichen Inhaber des Bettes? (…)
Warum gesellte sich für den Beobachter Erregbarkeit zu Kraft, Körperproportion und kaufmännischer Fähigkeit? (…)
Mit welchen widerstreitenden Gefühlen waren seine nachfolgenden Überlegungen besetzt? Mit Neid, Eifersucht, Entsagung, Gleichmut.
Neid? (…)
Eifersucht? (…)“

Mit welchen Modifikationen replizierte der Erzähler dieser Interrogation?
Negativ: er unterließ die Erwähnung der heimlichen Korrespondenz zwischen Martha Clifford und Henry Flower, der öffentlichen Kontroverse in, vor und bei dem lizensierten Schanklokal von Bernard Kiernon & Co., G.m.b.H., 8, 9 und 10 Little Britain Street, der erotischen Provokation sowie Reaktion darauf, verursacht durch den Exhibitionismus von Gertrude (Gerty), Nachname unbekannt.“
James Joyce, „Ulysses“, in der Wollschläger-Übersetzung

Verdichtet, eingedampft, eingekreist, nacherzählt, der Versuch, die Essenz eines Mammutwerkes in einem, einzigen langen Satz zu fassen – dieses, man mag schon beinahe „Wahnsinns-Experiment“ sagen, ist Reto Hänny mit „Blooms Schatten“ eingegangen. Er nimmt die Nacherzählung eines Tages mit dem berühmten Kalypso-Kapitel auf, beginnt diese Reduktion oder besser diesen Fassungsversuch mit einem Satz (der dann über die folgenden 139 Seiten nimmer mehr unterbrochen wird, ganz in der Tradition des Gedankenstroms) so:
„Die Odysee eines Annoncenakquisiteurs weder ohne Furcht noch ohne Tadel der, teils wie unter Schock, von morgens um acht all die Stunden bis weit über Mitternacht hinaus, das nimmer Neue mit immer neuer Hoffnung zu betrachten, einen hektisch anstrengenden Tag lang (einen, wenn man es bedenkt, völlig gewöhnlichen Frühsommertag, einen ausgesprochenen durstigen zwar, an welchen die Trockenheit nach Wochen eitel Sonne aber ihren Höhepunkt erreichen und abrupt zu Ende gehen sollte) durch das Labyrinth einer Stadt weit oben auf der nördlichen Halbkugel irrt, wo die vielen Kneipen den größten Teil der reichlich bemessenen freien Zeit und des leider der freien Zeit nicht ganz gemäßen Geldes beanspruchen…“
Somit ist das wer-wo-was umrissen – wer, das ist Leopold Bloom, wo, das ist Dublin, was, das ist ein Tag im Leben dieses Blooms, das ist auch dieser Roman, das Jahrhundertbuch, in dem Joyce den Gedanken eines Mannes einen Tag lang auf der Spur blieb, ein 24-Stunden-Gedankenstrom-Experiment – mehr als 90 Jahre später wiederum von einem Schweizer in einem weiteren Experiment zu einem einzigen Satz geformt.
Reto Hänny las den Ulysses erstmals mit 15 Jahren, wie er in seinem Nachwort schreibt, tauchte ein in eine Wunderwelt der Sprache, eine Begegnung, die ihn von seiner Legasthenie kurierte.
„Der Ulysees hat mich seither nicht mehr losgelassen, auch die letzten Jahre nicht, in denen ich mich vorwiegend mit Musik beschäftigte, und da bei mir seit je eins aus dem andern wächst, sind mir diese Musikstudien bei der Neuformung der alten Geschichte, die ich erst jetzt schreiben könnte, wie sie mir vorschwebte, zugute gekommen.“

Wie Roland Barthes einst postulierte, wird Literatur aus dem Leben gemacht – und auch, wenn Hänny sich an die Devise hält, „Literatur entstehe aus der Literatur“, liegt darin kein Widerspruch. „Blooms Schatten“ ist das Projekt eines Literaturbesessenen, eines Ulysses-Jüngers, einer, der sich sein Leben lang mit auf dieser Joyce-Odyssee befand, um nun endlich wieder anzukommen – in einem kleinen, schmalen Buch, eigentlich wohl auch ein Lebenswerk, in dem sich die Liebe zur Literatur und Musik verdichtet. Eingeflossen sind in dieses Ein-Satz-Buch noch weitere „Spuren und Ablagerungen der täglichen Lektüre“, es lohnt also, das Buch – das durchaus in einem Durchgang gelesen werden kann – mehrfach aufmerksam aufzunehmen, nach Shakespeare, Flaubert, Claude Simon und anderen zu forschen. Über allem aber ohne Zweifel Joyce.
Gesteckt ist damit jedoch dennoch auch der Rahmen, die Grundlage für Leser: „Blooms Schatten“ kann freilich auch ohne explizite „Ulysses“-Kenntnis als kleine Miniatur genossen werden, als eigenständiges Werkstück mit einer ausgesprochenen musikalischen Sprache, die sich beim Laut- oder auch Vorlesen voll entfaltet. Doch zum eigentlichen Genuss kommt man freilich nur dann, wenn man die berühmte Vorlage kennt – als Reduktion oder Zusammenfassung für jene, die Joyce-Kenntnisse vortäuschen wollen, eignet sich „Blooms Schatten“ nicht. Es ist also letztendlich doch ein Werk für eine kleine Lesergemeinde – umso rühmenswerter, dass der Verlag sich dessen angenommen hat. „Literatur in größtmöglichen Abstand zum Mainstream“ – dieses Zitat von Urs Widmer ist auf dem Umschlag zu lesen. Jawohl!

Buchvorstellung beim Verlag:
http://www.matthes-seitz-berlin.de/buch/blooms-schatten.html

Literarische Orte: Vladimir Nabokov zeichnet die Wege in Ulysses nach

Vladimir Nabokov zählte zu den großen Bewunderern von James Joyce. Insbesondere Ulysses empfand der Schöpfer von “Lolita” als brillant. Der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler gab anderen Lehrern dieses mit:

“Instead of perpetuating the pretentious nonsense of Homeric, chromatic, and visceral chapter headings, instructors should prepare maps of Dublin with Bloom’s and Stephen’s intertwining itineraries clearly traced.”

Und weil es Nabokov nicht nur beim Reden beließ, zeichnete er selbst in einer Karte die Wege von Leopold Bloom und Stephen Dedalus, die sie am 16. Juni 1904 durch Dublin führten, nach. Nützlich kann die Karte durchaus auch am nächsten Bloomsday (16.6.2015) oder bei jedem anderen Dublin-Besuch auf den Spuren von „Ulysses“ sein.

Dass die Ulysses-Tour schon lange nicht nur literaturwissenschaftlich, sondern auch touristisch erschlossen wurde, ist naheliegend (Link zum Flyer von Dublin Tourism hier). Im Zentrum des Geschehens: Die 7 Eccles Street No. 4, das Domizil der Blooms.

 

W.B. Yeats - Tread softly

Ich mag die leisen Sohlen meiner Schuhe. Das Klappern der Absätze mag ich nicht. Ich mag nicht das Knarzen der Stiefel. Ich will Spuren hinterlassen, keine Tritte.

»Had I the heavens’ embroidered cloths,
Enwrought with golden and silver light,
The blue and the dim and the dark cloths
Of night and light and the half light,
I would spread the cloths under your feet:
But I, being poor, have only my dreams;
I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.«
W.B. Yeats (1865–1939)

TRIO 4: Wenn Schriftsteller ihren Liebsten schreiben…

… kommen manchmal (aber auch nur manchmal) ganz bezaubernde Dinge dabei heraus.

Ganz begeistert bin ich von einem Brief, den James Joyce 1936 aus Dänemark an seinen Enkel Stephen James schickte. Der liebevolle Opa teilt dem Vierjährigen auf eine recht skurrile, lyrisch-versponnene Art und Weise mit, warum er ihm keine Kopenhagener Katze schicken kann. In seiner Heimat Irland waren mit Süßigkeiten gefüllte Katzen ein beliebtes Geschenk.
Statt über Süßigkeiten schreibt Joyce über Polizisten, die im Bett liegen und Buttermilch trinken, über rote Jungs auf roten Rädern, die den Job der Polizisten erledigen - und kommt ganz am Schluss auf eine geniale Idee. Aber die wird hier nicht verraten…

Schließlich mussten auch die Joyce-Anhänger viel Geduld haben, bis „Die Katzen von Kopenhagen“ erscheinen durften: Es dauerte bis 2012, bis die rechtlichen Voraussetzungen für die „Welturausgabe“ geklärt waren. Oftmals wird ja jedes Fitzelchen, das ein berühmter Autor hinterlässt, später als Sensation vermarktet. Oft ist das auch viel Lärm um nichts. Bei den dänischen Katzen war ich ein wenig skeptisch – aber sie zeigt den augenzwinkernden, humorvollen Joyce, der auch im „Ulysees“ aufblitzt, und dem zudem Harry Rowohlt mit seiner Übersetzung den passenden Ton gibt. „Die Katzen von Kopenhagen“ erschien im Juli beim Hanser Verlag, die Illustrationen von Wolf Erlbruch (2003 für sein Lebenswerk mit dem Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises ausgezeichnet) sind an sich schon eine Schau – so richtig schöne, dicke Buttermilch-Katzen. So ein O-papa!

James Joyce: „Die Katzen von Kopenhagen“, Hanser Verlag, fester Einband, 32 Seiten, empfohlen ab 5 Jahren. Durchgehend farbig illustriert, ISBN 978-3-446-24159-6

dürrenmatt 001„Also, wenn es einen Gott gibt, muss er einen unendlichen Humor haben. Der muss wahnsinnig Freude haben, Welten in die Luft zu jagen, der ist wie ein Kind, das mit Zinnsoldaten spielt. Und da dem Moral oder sonst was anzudichten, nein, ich glaube, der hat einfach Freude am ganzen Spektakel. Und das hat unbewusst der kreative Mensch auch. Ich habe nie etwas geschrieben mit Hass. Ich habe einfach Freude an dem, was man kreiert.“

So äußerte sich Friedrich Dürrenmatt in einem Film seiner Frau Charlotte Kerr, „Portrait eines Planeten“ (1984). Ein Jahr zuvor sind die Beiden mit Maximilian Schell bei einer Aufführung im Münchner Circus Krone und sehen eine Dressur mit Tiger und Nashorn. Schell schreibt später: „Das seid ihr“. Und Dürrenmatt beginnt, wie es einem kreativen Gott gebührt, einen eigenen Kosmos zu schaffen. „Das Nashorn schreibt der Tigerin“ erschien 2002, zwölf Jahre nach seinem Tod. Charlotte Kerr hatte dafür die verspielten Zeichnungen und Bildgeschichten zusammengestellt und kommentiert, die Dürrenmatt ihr während ihrer Verbindung und Ehe zeichnete. Er selbst ist das Rhinozeros, Charlotte Kerr die Tigerin, dazu wird die Dürrenmattsche Welt ergänzt durch imaginäre Kinder und allerlei Viehzeugs…So lernt man den Schriftsteller nicht nur von seiner privaten, sondern auch von einer „tierisch“ amüsanten Seite kennen: Beim Reisen, beim Papstbesuch, beim Dichten, beim erfreuten Fernsehgucken, als die Mauer fällt. Ein Picasso oder Matisse ist der Schweizer zwar nicht – aber was zählen schon die zeichnerischen Fertigkeiten, wenn einer sich solche kommunikative Mühe gibt? Welche Partnerin wäre über solche Liebesbeweise nicht erfreut?

Friedrich Dürrenmatt: Das Nashorn schreibt der Tigerin. Aufbau Verlag, Berlin 2002. 206 Seiten, ISBN-10: 3351029616, nur noch antiquarisch zu erhalten.

Und auch F. Scott Fitzgerald schreibt an jemanden, der ihm lieb und teuer ist. Zugleich aber auch verhasst: An sich selbst. Ab 1937 arbeitet der Schriftsteller in Hollywood. Er ist depressiv, trinkt unmäßig, kann nicht mehr schreiben. Sein letzter Roman, „The last tycoon“ bleibt unvollendet – F. Scott Fitzgerald stirbt, verarmt und verlassen, am 21. Dezember 1940. Eine Postkarte aus Hollywood an sich selbst – welch ein trauriges Symbol der Einsamkeit.

Aus einem Brief aus besseren Tagen stammt dieses Zitat:

„Ich habe gehört, Du wurdest gesehen, wie Du in alten, verdreckten Unterhosen durch Portugal gerast bist und zermahlenes Glas gekaut hast und auf der Suche nach Material warst für eine Story über Boulespieler. Und dass Du der Mann für die Öffentlichkeitsarbeit von Lindberg geworden bist. Und dass Du gerade einen Roman beendet hast, der aus hunderttausend Wörtern besteht - genauer gesagt ausschließlich aus dem Wort Klöten, das Du immer wieder neuen Gruppierungen zuordnest. Dass Du spanischer Staatsbürger bist und jetzt immer in einem Ganzkörperweinschlauch steckst, mit einer Reißverschlussöffnung zum Pissen daran. Dass Du in den Schwarzhandel mit der Spanischen Fliege zwischen San Sebastian und Biarritz involviert bist, wo Deine Mittelsmänner das Zeug auf den teuren Böden der Casinos verstreuen.“

Sein Briefwechsel mit Ernest Hemingway erschien 2013 unter dem Titel „Wir sind verdammt lausige Akrobaten“  – zur Buchbesprechung geht es hier:
http://saetzeundschaetze.com/2013/10/19/ernest-hemingway-und-f-scott-fitzgerald-eine-brieffreundschaft/