Erich Mühsam: Unpolitische Erinnerungen

saetzebirgit:

Erich Mühsam: Unpolitische Erinnerungen eines durch und durch politischen Menschen bei Hauptsache Bücher. Und noch mehr von ihm: http://saetzeundschaetze.com/2013/11/17/erich-muhsam-sich-fugen-heist-lugen/

Ursprünglich veröffentlicht auf Hauptsache Bücher:

Ich blicke zurück. Hinter mir liegt das Caféhaus, die Boheme, der ungefegte Ballsaal des sorglosen Lebensspiels: Erinnerung – schöne, frohe, liebenswerte Erinnerung; aber keine Sehnsucht nach dem Vergangenen; keine Spur eines Zurückverlangens nach jenen Freuden und Gefahren des Zigeunertums. Das ist vorbei; das liegt hinter mir – endgültig. So wäre denn wohl nichts mehr dagegen einzuwenden, in diesem Teil meiner Vergangenheit, von dem der Gegenwart kaum etwas mehr gehört, zu graben. Ein paar hübsche Anekdoten werden dabei jedenfalls zutage kommen, ein paar Lichter werden auf die Charakterbilder von Menschen fallen, die ihrer Zeit von ihrem Geiste gaben; ein paar Persönlichkeiten, zu Unrecht vergessen oder verkannt, werden aus dem Schatten gehoben werden. Vielleicht lohnt es wirklich, im Gedächtnis zu wühlen und einige Kleinigkeiten zusammenzutragen, von denen dies und jenes späterhin einmal einem fleißigen Seminaristen als Beitrag zu seiner literarhistorischen Doktordissertation dienen mag.

Mühsam schrieb seine Unpolitischen Erinnerungen 1926-27, als er fast…

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1913: Tanz auf dem Vulkan mit Florian Illies

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November

„Adolf Loos sagt, dass das Ornament ein Verbrechen sei, und baut Häuser und Schneidersalons voll Klarheit. Alles ist aus zwischen Else Lasker-Schüler und Dr. Gottfried Benn – sie ist verzweifelt, woraufhin ihr Dr. Alfred Döblin, der gerade Ernst Ludwig Kirchner Modell sitzt, Morphium spritzt. Prousts „In Swanns Welt“, der erste Band von „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, erscheint, den Rilke sofort liest. Kafka geht ins Kino und weint. Prada eröffnet in Mailand seine erste Boutique. Ernst Jünger, 18 Jahre alt, packt seine Sachen und geht zur Fremdenlegion nach Afrika. Das Wetter in Deutschland ist ungemütlich, aber Bertolt Brecht findet: Schnupfen kann jeder haben.“

Florian Illies, „1913 – Der Sommer des Jahrhunderts“, S. Fischer Verlag.

Das Jahr 2013 neigt sich bald seinem Ende zu. Und ich habe noch rechtzeitig die Kurve zu „1913“  genommen. Glücklicherweise. Denn selten hat mich ein Sachbuch (oder wie auch immer man dieses Buch einordnen mag – ein langes Essay über ein Jahr? Ein literarisches Biopic? Ein „gewaltiger Teaser“, wie Gustav Seibt es in der Süddeutschen Zeitung nannte?)…jedenfalls hat mich selten ein „Sachbuch“ so oft laut auflachen lassen.

Der Kunsthistoriker und Journalist Florian Illies lässt dieses eine, dieses besondere Jahr Revue passieren – ein Jahr schwankend zwischen Hypernervosität und Lethargie. Ein wenig erinnert dies an die Jahresrückblicke, mit denen die Nation jeweils in den ersten Januartagen von sämtlichen Fernsehsendern beglück wird. ALLERDINGS: Weitaus klüger und amüsanter verfasst.

Monat für Monat rollt Illies das auf, was vor 100 Jahren vor allem die Intellektuellen, die Künstler und die Bohème umtrieb: Ein Reigen (ja, Schnitzler kommt auch vor), gegen den das öffentliche Beziehungstreiben unserer Stars und Sternchen heute geradezu verblasst. Das Buch spricht durchaus auch etwas Voyeuristisches im Leser an – wer mit wem und warum nicht mehr, das liest sich unterhaltsam und streckenweise auch verwirrend, weil, vor allem wenn Rilke ins Spiel kommt, eigentlich alle mit allen…

Es griffe natürlich zu kurz, würde man die knapp 320 Seiten nun als eine Art feuilletonistischen Tratsches interpretieren – andererseits ist „1913“ aber auch keine geschichtswissenschaftliche Analyse. Kluge Unterhaltung bietet es – und das sehr gut gemacht. Warum 1913? Alles scheint da auf dem Siedepunk in der Kultur: Brücke, Blauer Reiter, Secession, Expressionismus, Kubismus – das Neue löst das Alte ab, die Richtungen konkurrieren. Marcel Duchamp hat die Nase voll vom Malen und erfindet nebenbei das erste Ready Made. Auch in der Literatur werden die Väter abgemurkst, die Romantik begraben. Freud wird von Jung geschnitten, nicht das einzige Trauma und Beziehungsdrama, das in diesem Jahr über die Bühne geht. Die „Alten“ (Schnitzler, Hofmannsthal) und Mittelalten (Kraus, T. Mann) hadern mit privaten Angelegenheiten oder sind irgendwie beleidigt und geplagt von Zipperlein und Allüren, die Jungen (Brecht, Jünger, Tucholsky) scharren mit den Füßen.

Alles spitzt sich in der Kunst in hektischer Hypernervosität zusammen, als ob in komprimiertester Zeit  das Rad neu erfunden werden müsste. Wie es Duchamp dann ja auch tut. Demgegenüber erstarren Machthaber und Politiker in seltsamer Lethargie, selbst angesichts der Unruhen auf dem Balkan. Kaiser Wilhelm schießt zunächst lieber täglich auf Tausende von Fasanen, kann aber nur einen abends speisen. Eines dieser kleinen, feinen Beispiele für die Dekadenz einer untergehenden Klasse, die Illies bringt. Er muss nicht mit dickem Pinsel streichen – feine Striche genügen ihm, um das Bild dieses Jahres zu zeichnen.

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Ein Meisterstück, forderte die Mahler, und sie würde ganz die Seine. Oskar Kokoschka malte die Windsbraut und bekam die Alma trotzdem nicht. Das war 1913.

Das ist die Stärke dieses Buches: Die ungeheure Menge an Daten & Fakten sind so fein ausgesucht, gesponnen und verknüpft, dass sich allein aus dem geschickten Mosaik das Bild einer untergehenden Gesellschaft herausschält. Und doch ist alles so lebendig erzählt, dass man beim Lesen das eigene Wissen davon, dass es ja ein böses Ende nehmen wird, zunächst hintanstellt. Man begibt sich mitten hinein in diesen Tanz auf den Vulkan – man weiß zwar inzwischen, dass der Kokoschka seine Windsbraut für die Mahler vergeblich malte, aber währenddessen hat der vor Eifersucht Wahnsinnige unser ganzes Mitgefühl. Zwei ausgesprochene „Lieblinge“ begleitet Illies mit feiner Ironie über das ganze Jahr hinweg: Den ewig zaudernden Kafka bei den Versuchen eines Heiratsantrages sowie den ewig kränkelnden Rilke, der dennoch Briefe schreibend eine Anzahl von Frauen, mit der er locker eine Fußballnationalmannschaft stellen könnte, vorzugsweise platonisch, aber auch leibhaftig lenkt.

Die heran dräuende Katastrophe wird in diesem Treiben bewusst kaum wahrgenommen. Wie geisterhafte Schatten huschen jedoch schon die Vorboten der zweiten, noch grausameren Katastrophen durch die Seiten – der Postkartenmaler Hitler und Stalin auf der Flucht in Frauenkleidern. Doch noch herrscht auf der Achse Wien-Berlin-Paris das Leben.

In manchen Feuilletons wurden Bezüge dieses Panoramas zum Jahr 2013 gestellt, Parallelen gezogen, Botschaften und Ermahnungen destilliert. Ich meine, damit wäre dieses Buch überfrachtet und überinterpretiert. Es zeigt das Bild eines besonderen Jahres – klug geschrieben, unterhaltsam zu lesen, fein gemacht. Das allein ist auch einmal ausreichend.

Erich Kästner - so verschiedene November

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Bild: Rose Böttcher - Novemberstimmung an der Eisenbrücke in Ulm

Erich Kästner (1899 – 1974) versetzt mich immer wieder in Erstaunen. Erste Begegnung natürlich in der Kindheit. Große Begeisterung für „Emil und die Detektive“ und das „Doppelte Lottchen“. Später dann die politisch-moralischen Gedichte und „Fabian“, Neue Sachlichkeit und Satire. Und dann die brav-biederen Reime auf Großmutters Apothekenkalender.

Der gebürtige Dresdner war ein Mann mit einigen Seiten. Sicher kein „Simpel“, auch wenn manche Gedichte so simpel erscheinen. Er schrieb für den „Simplicissimus“ ebenso wie für die „Weltbühne“, aber verfasste auch diese fast schon kleinbürgerlichen Rezepte für das Privatleben. Von der Bühne der großen Welt bis zur „lyrischen Hausapotheke“.

Seine Bücher wurden im Dritten Reich verbrannt; Kästner wurde aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen und mit Publikationsverbot belegt, er selbst wurde mehrfach von der Gestapo verhaftet und schikaniert - andererseits entschied er sich dagegen so wie viele andere ins Exil zu gehen. Er schrieb unter Pseudonym weiter, vor allem für Film und Theater, und hielt sich politisch zurück.

Die Propagandaindustrie der Nationalsozialisten, die dem Volk einen Heile-Welt-Durchhaltefilm nach dem anderen lieferte, entdeckte letztlich auch Kästner noch einmal für sich: Goebbels` Ministerium gab ihm vorübergehend Publikationserlaubnis für das Drehbuch am Imageprojekt „Münchhausen“ – dies verfasste Kästner unter seinem Pseudonym „Berthold Bürger“.

Diese innere Emigration und die Bereitschaft, sich bis zu einem gewissen Grad anzupassen, um zumindest materiell zu überleben, wurden ihm später von manchen zum Vorwurf gemacht. Ein Urteil darüber zu fällen aus heutiger Zeit finde ich selbst sehr schwierig. Die Entscheidung als Beobachter, wie Kästner es begründete, zu bleiben und mitanzusehen, wie eine Kultur zu Boden geht, eine Gesellschaft entmenschlicht wird, aber auch zu bleiben, weil man an die Heimat gebunden ist – ich möchte diesem Schriftsteller unterstellen wollen, dass es ihm keinen Tag lang leicht fiel. Dass der Moralist im inneren Exil überlebte.

Überlebte und in gewisser Weise auch verstummte – nach 1945 blieb Kästner zwar bis zu seinem Tod äußerst produktiv, aber die Waffen des Satirikers waren stumpf geworden.

An zwei Novembergedichten möchte ich die verschiedenen Seiten des Lyrikers Kästner zeigen. „Der November“ entstammt dem Zyklus „Die Dreizehn Monate“, die 1953 in der „Schweizer Illustrierten“ und dann 1955 als Buch beim Atrium-Verlag erschienen. Im vorangestellten Vorwort sagt er:

„Die hier gesammelten Gedichte schrieb ein Großstädter für Großstädter. Er versuchte sich zu besinnen. Denn man kann die Besinnung verlieren, aber man muss sie wiederfinden. Man müsste wieder spüren: Die Zeit vergeht, und sie dauert, und beides geschieht im gleichen Atemzug. (…) Die zweite Austreibung aus dem Paradies hat stattgefunden. Und Adam und Eva haben es diesmal nicht bemerkt. Sie leben auf der Erde, als lebten sie darunter. Ausflüge sind keine Auswege. Schussfahrten sind Ausflüchte. Was, nun gar, könnten ein paar Verse vermögen? Sie wurden trotzdem notiert. Es hatte, wieder einmal und wie so oft, das letzte Wort – das kleine Wort Trotzdem.“

Der November 

Ach, dieser Monat trägt den Trauerflor …
Der Sturm ritt johlend durch das Land der Farben.
Die Wälder weinten. Und die Farben starben.
Nun sind die Tage grau wie nie zuvor.
Und der November trägt den Trauerflor.

Der Friedhof öffnete sein dunkles Tor.
Die letzten Kränze werden feilgeboten.
Die Lebenden besuchen ihre Toten.
In der Kapelle klagt ein Männerchor.
Und der November trägt den Trauerflor.

Was man besaß, weiß man, wenn man’s verlor.
Der Winter sitzt schon auf den kahlen Zweigen.
Es regnet, Freunde, und der Rest ist Schweigen.
Wer noch nicht starb, dem steht es noch bevor.
Und der November trägt den Trauerflor …

Der „Nasse November“ wurde erstmals am 21.11.1929 in „Beyers für Alle“, einer Familienzeitschrift aus dem Otto Beyer Verlag Leipzig veröffentlicht. Bis 1934 schrieb Kästner unter Pseudonym für die Kinderbeilage dieser Zeitschrift zahlreiche Texte und Gedichte – ein Broterwerb, dem Geschmack des jugendlichen Publikums angepasst. So sind die beiden November kaum vergleichbar – einerseits das melancholische Spätwerk, andererseits der brave Ratschlag für die Jugend.

Nasser November

Ziehen Sie die ältesten Schuhe an,
die in Ihrem Schrank vergessen stehn!
Denn Sie sollten wirklich dann und wann
auch bei Regen durch die Straßen gehn.

Sicher werden Sie ein bißchen frieren,
und die Straßen werden trostlos sein.
Aber trotzdem: gehn Sie nur spazieren!
Und, wenn’s irgend möglich ist, allein.

Müde fällt der Regen durch die Äste.
Und das Pflaster glänzt wie blauer Stahl.
Und der Regen rupft die Blätterreste.
Und die Bäume werden alt und kahl.

Abends tropfen hunderttausend Lichter
zischend auf den glitschigen Asphalt.
Und die Pfützen haben fast Gesichter.
Und die Regenschirme sind ein Wald.

Ist es nicht, als stiegen Sie durch Träume?
Und Sie gehn doch nur durch eine Stadt!
Und der Herbst rennt torkelnd gegen Bäume.
Und im Wipfel schwankt das letzte Blatt.

Geben Sie ja auf die Autos acht.
Gehn Sie, bitte, falls Sie friert, nach Haus!
Sonst wird noch ein Schnupfen heimgebracht.
Und, - ziehn Sie sofort die Schuhe aus!

Zum Abschluss wenigstens noch einmal Kästner als Satiriker:

Der Humor
Aus der großdeutschen Kunstlehre

Der Humor ist der Regenschirm der Weisen
und insofern unsoldatisch.
Daß wir ihn trotzdem öffentlich preisen,
scheint problematisch.
In praxi ist`s gleichgültig, was wir meinen.

Denn wir haben ja keinen.

Albert Ostermaier: Ein Roman, begraben unter Wortlawinen

„Und Ödon überwand seine Angst und ging die Stufen hinab in den feuchten Keller, wo die Äpfel lagerten, die sündigen Äpfel, wo der Wein an der Wand ruhte, Blut von meinem Blut, in den Gefriertruhen das Fleisch vom Eis wartete, wo die Schinken an der Decke hingen, überzogen mit Zeit, wo die Fallen aufgestellt waren, wo die alten Koffer, aufeinandergeschichtet, eine Höhle gaben, wo die Zahlenschlösser alle Geburtstage verrieten, wo ein Raum verschlossen blieb, ein Raum, der tiefer führte, noch tiefer hinab, ein Raum (…)

Und die Sauna war dort, wo sie zusammen schwitzten, gegen die Sanduhr schwitzten, wo er allein saß, obwohl er es nicht durfte, und sich vorstellte, Gott ließe den Stuhl neben der Tür umfallen (…)“

Und so geht der Text fort, wo er fortgeht, wo diese Zitate nur Beispiele sind von vielen, vielen Zitaten, die zeigen, wie der Stil dieses Buches ist, dieses spannend gemeinten Buches, das ein Thriller sein soll, dieses geschriebenen Buches, das da…

Okay, jetzt ernsthaft: Albert Ostermaier liebt ganz offenbar Nebensätze. Er (oder sein Lektor) weiß, wie man Kommas richtig setzt. Das ist an sich schon eine bewundernswerte Kunst. Aber: Man muss sie nicht überstrapazieren. Wenn man beim Gang in den Keller am Ende der Treppe nicht mehr richtig weiß, was Ödon dort wollte (und wer ist überhaupt dieser Ödon?), dann muss das nicht allein an der mangelnden Aufmerksamkeit des Lesers liegen.

Albert Ostermaier, Dramatiker und Lyriker, ist in die Sprache verliebt. So sehr, dass er angesichts seiner Wortspielereien vergisst, seine Geschichte zu schreiben. „Seine Zeit zu sterben“ ist im Suhrkamp Verlag erschienen. „Ein packender, sprachmächtiger Thriller aus der Glitzerwelt Kitzbühels“, so verkündet es der Klappentext. Ich hätte gewarnt sein können.

„Niemand nimmt für bare Münze, was sich ein Verlag zur Anpreisung seiner Neuerscheinungen ausdenkt. Wenn jetzt ein neues Prosawerk des Münchner Schriftstellers Albert Ostermaier bei Suhrkamp als “rasanter Thriller” angepriesen wird - was soll’s? Ärgerlich allerdings, wenn die Literaturkritik den Faden aufnimmt und angesichts “dieses packenden Romans” (“FAZ”) in Begeisterung ausbricht. Das Buch mit dem dramatischen Titel “Schwarze Sonne scheine” ist weder spannend noch rasant und von einem Thriller Lichtjahre entfernt. Das, was Ostermaier, 43, mit kaum überbietbarer Redundanz erzählt, füllt auch keinen Roman.“ -  So war es im Spiegel am 30. Mai 2011 zu lesen (Link: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-78689661.html) zum Vorgängerroman „Schwarze Sonne scheine“.

Und was dort geschrieben ward, hat leider auch für den Kitzbühel-Roman seine Gültigkeit. Zwar wird jede Menge hochdramatisches Personal herangezogen – russische Mafiabosse samt Leibwächter und Killer, Schickeria in auffälligen Outfits, merkwürdige Priester, Skirennfahrer unter Pädophilie-Verdacht sowie ein wohlstands-verwahrlostes Kind. Der Plot dreht sich um eine Kindesentführung während der Streif, dem berühmten Abfahrtrennen. Ansonsten wedelt die Geschichte mal hierhin, mal dorthin. Was eine rasende Schussfahrt sein sollte, wird zum mühseligen Slalom durch Wortspielereien bis hin zum Sturz in die Klischee- und Kitschfalle:

„Die Sonne verspielte sich in den Eiswürfeln und labte sich an den Gesichtern der beiden Frauen, die sich ihr entgegenstreckten wie Blumenkelche zu Beginn des Frühlings nach einem unerbittlichen Winter.“

Dazu muss man wirklich nicht mehr viel sagen. Für mich war dieser Roman eine Enttäuschung. An Worten: Zuviel des Guten. Die FAZ hat dagegen einmal mehr sehr wohlwollend interpretiert. Das soll nicht vorenthalten werden: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/albert-ostermaier-seine-zeit-zu-sterben-die-erogenen-zonen-der-skipiste-12561424.html.

Freilich, das gibt auch Rezensent Jan Wiele zu: die Metaphorik der Lawine werde ziemlich überstrapaziert. Man könnte auch so sagen: Das Buch wird unter Metaphorik-Lawinen begraben.

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PS: Der Roman hat mich persönlich sehr interessiert, weil Albert Ostermaier nicht nur einer der Träger des Bertolt-Brecht-Preises ist, den die Stadt Augsburg vergibt, sondern auch das 2006 ins Leben gerufene abc-Festival (http://www.augsburgwiki.de/index.php/AugsburgWiki/Abc-Festival) als künstlerischer Leiter verantwortete. Er stand für ein hervorragendes Programm, das Brecht nicht nur einer Kulturelite, sondern vielen Zielgruppen frisch und modern vermittelte.

Den Bertolt-Brecht-Preis verleiht die Stadt Augsburg seit 1995 in dreijährigem Turnus an Persönlichkeiten, die sich in ihrem literarischen Schaffen durch die kritische Auseinandersetzung mit der Gegenwart auszeichnen. Bisherige Preisträger waren: 1995 Franz Xaver Kroetz, 1998 Robert Gernhardt, 2001 Urs Widmer, 2004 Christoph Ransmayr, 2006 Dea Loher (zum 50. Todesjahr Brechts um ein Jahr vorgezogen), 2010 Albert Ostermaier und heuer, 2013 Ingo Schulze.

Vielleicht ist die „Langstrecke“ des Romans keine Gattung, die sich für jeden eignet. Albert Ostermaier hat sich als Lyriker und Dramatiker einen hervorragenden Namen gemacht, seine Romane scheinen jedoch nicht auf dieselbe Resonanz zu stoßen. Nochmals ein Blick auf Brecht: Dieser selbst schrieb zwar 48 Stücke, über 2300 Gedichte, über 200 Erzählungen -  aber eben nur drei Romane.

Erinnerung an einen Literatur-Nobelpreisträger: Paul Heyse

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Vincent van Gogh: Sterne über der Rhone

Ach, hörst du nicht sausen
Den Herbstwind im Baum?
Ach, ging nicht die Liebe
Dahin wie ein Traum?

Schönster Tag, nun gute Nacht!
Wie viel Freuen und Frohlocken,
Lieb’ und Lust und Blütenflocken,
Herrlicher, hast du gebracht!

Siehe, wie die Schatten sacht
Unsern Waldespfad umgrauen!
In den lichten Himmelsauen
Ist der erste Stern erwacht.

Sei willkommen, Sternenpracht!
Stille nun die Lust allmählich!
Heimwärts ziehn wir, stumm und selig –
Schönster Tag, nun gute Nacht!

Paul Johann Ludwig von Heyse (1830 geboren in Berlin, 1914 verstorben in München) ist der erste belletristische deutsche Schriftsteller, der mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde. Theodor Mommsen, der 1902 den Preis erhielt, war Historiker, 1908 dann der Philosoph Ruduolf Eucken, 1910 ging die Auszeichnung schließlich an Heyse. Neben Lyrik schrieb er vor allem Novellen – weit mehr als Hundert an der Zahl. Literaturhistorisch wichtig ist seine „Falkentheorie“ (nach der Falkennovelle von Boccacio).

Heyse, der lange ein Lieblingsautor der Deutschen war, ist etwas in Vergessenheit geraten. Schade eigentlich, wenn man dieses Gedicht betrachtet.

Weitere Informationen und Texte gibt es beim Projekt Gutenberg.

Fürs Erinnern bedanke ich mich herzlich bei einem sehr belesenen Leser meines Blogs, den ich “wochenlang bekniet” habe, einmal etwas zu schreiben.
Nun ja, zumindest hat er jetzt etwas abgeschrieben.
Oder zumindest kopiert&pasteurisiert (copy&paste). Danke! :-)