John Donne - No man is an island

No man is an island,
Entire of itself,
Every man is a piece of the continent,
A part of the main.
If a clod be washed away by the sea,
Europe is the less.
As well as if a promontory were.
As well as if a manor of thy friend’s
Or of thine own were:
Any man’s death diminishes me,
Because I am involved in mankind,
And therefore never send to know for whom the bell tolls;
It tolls for thee.

John Donne

Niemand ist eine Insel – nein, weder Johannes Mario Simmel noch Jon Bon Jovi haben diesen Satz erfunden. Hugh Grant hat ihn zwar gesprochen und dabei wie immer sehr nett ausgesehen, aber ein Dichter ist er wohl dennoch nicht. Schöpfer dieser Zeile war John Donne, Zeitgenosse Shakespeares und einer der bedeutendsten Dichter seiner Zeit.

Wem und wie die Stunde schlägt – das erläuterte Dieter Hildebrandt 1975 ganz amüsant in der Zeit: “Warum niemand eine Insel ist.”

Einige der schönsten Liebesgedichte von John Donne sind in einem Reclam-Buch zu finden: Ulla Hahn editiert diese Reihe, die durchaus auch etwas für Sammlerinnen und Sammler von bibliophilen Kleinigkeiten ist. Verlagsangaben: “Die Liebe begleitet die Menschheit seit je, und sie ist sicher das Gefühl, das sich am häufigsten in lyrischen Manifestationen zum Ausdruck gebracht hat. Diesem Phänomen widmet sich Reclam mit einer Reihe, die von einer exzellenten Kennerin der Lyrik und der Liebe und der Liebeslyrik im Besonderen herausgegeben wird. Ulla Hahn wählt für diese Reihe aus dem Werk großer Lyriker jeweils die besten Liebesgedichte aus und beleuchtet den Autor/die Autorin und die vorgestellte Liebeslyrik in einem Nachwort. Die äußere und innere Gestaltung der Bände stammt von Friedrich Forssman und Cornelia Feyll, dem Typographen- und Gestalterpaar, das schon der Reclam Bibliothek ein preiswürdiges Aussehen verlieh.”

William Shakespeare - Zweifle an der Sonne Klarheit

Zweifle an der Sonne Klarheit,
Zweifle an der Sterne Licht,
Zweifle, ob lügen kann die Wahrheit,
Nur an meiner Liebe nicht.

“Hamlet”, 2. Akt, 2. Szene, Polonius zitiert einen Brief Hamlets an Ophelia.

Ethan Hawke als “Hamlet”, in der Verfilmung von Michael Almereyda:

Heinrich Heine - Kalte Herzen

Als ich dich zum ersten Male
In der Welt von Pappe sah,
Spieltest du in Gold und Seide
Shylocks Tochter: Jessica.

Klar und kalt war deine Stimme,
Kalt und klar war deine Stirne,
Und du glichst, o Donna Clara,
Einer schönen Gletscherfirne.

Und der Jud verlor die Tochter,
Und der Christ nahm dich zum Weibe;
Armer Shylock, ärmrer Lorenz!
Und mir fror das Herz im Leibe.

Als ich dich zum andren Male
In vertrauter Nähe sah,
War ich dir der Don Lorenzo
Und du warst mir Jessica.

Und du schienst berauscht von Liebe,
Und ich war berauscht von Weine,
Küßte trunken deine Augen,
Diese kalten Edelsteine.

Plötzlich ward mir ehstandslüstern:
Hatte ich den Kopf verloren?
Oder war in deiner Nähe
Der Verstand mir nur erfroren?

Nach Sibirien, nach Sibirien!
Führte mich die Hochzeitsreise,
Einer Steppe glich das Ehbett,
Kalt und starr und grau von Eise.

In der Steppe lag ich einsam
Und mir froren alle Glieder,
Leise wimmern hört ich meine
Halberstarrten Liebeslieder.

Und ich darf ein schneeig Kissen
An das heiße Herz mir drücken.
Amor klappern alle Zähne,
Jessica kehrt mir den Rücken. -
*
Ach, und diese armen Kinder,
Meine Lieder, meine Witze,
Werden sämtlich nun geboren
Mit erfrorner Nasenspitze!

Meine Muse hat den Schnupfen
- Musen sind sensible Tiere -
Und sie sagt mir: Lieber Heinrich,
Laß mich ziehn, eh ich erfriere.

O, ihr kalten Liebestempel,
Matt erwärmt von Pfennigskerzen,
Warum zeigt mein Liebeskompaß
Nach dem Nordpol solcher Herzen?

Heinrich Heine, die Liebe und das Theater. Oder auch: Das Theater um die Liebe. Und auch noch Shakespeare. Drama vorprogrammiert.

Das Gedicht wurde der Anthologie “William Shakespeare - Wie er uns gefällt” entnommen:
http://saetzeundschaetze.com/2014/04/27/wie-er-uns-gefallt-gedichte-an-und-auf-william-shakespeare-herausgeber-tobias-doring/
Doch Heine beliess es nicht nur bei einem Gedicht - sondern schrieb ein eigenes Werk über Shakespeares Mädchen und Frauen:
http://saetzeundschaetze.com/2014/06/21/heinrich-heine-shakespeares-madchen-und-frauen/

Heinrich Heine: Shakespeares Mädchen und Frauen (1838).

„Es wird mir flau zu Mute, wenn ich bedenke, dass er am Ende doch ein Engländer ist, und dem widerwärtigsten Volke angehört, das Gott in seinem Zorne erschaffen hat. Welch ein widerwärtiges Volk, welch ein unerquickliches Land! Wie steifleinen, wie hausbacken, wie selbstsüchtig, wie eng, wie englisch!“

Heinrich Heine, „Shakespeares Mädchen und Frauen“, erstmals erschienen 1838

heineEin Kleinod und Lesevergnügen ist dieses Buch für jeden, der nicht nur Shakespeare, sondern auch den scharfzüngigen HH schätzt. Man ahnt es bereits: Wenn Heinrich Heine, Shakespeare-Verehrer und Bewunderer der holden Weiblichkeit, über die Frauenfiguren des englischen Dramatikers schreibt, dann nicht nur mit viel (Lust-)Gefühl, sondern auch mit der ihm eigenen Spottlust. Schon das Vorwort nutzt der frankophile Heine, der zu dieser Zeit bereits in Paris lebte, um in einem kurzen Streifzug mit den Engländern abzurechnen und die Rezeption und Nachwirkung Shakespeares in anderen Ländern aufzuzeigen:

„Besser als die Engländer haben die Deutschen den Shakespeare begriffen. Und hier muss wieder zuerst jener teure Name genannt werden, den wir überall antreffen, wo es uns eine große Initiative galt. Gotthold Ephraim Lessing war der erste, welcher in Deutschland seine Stimme für Shakespeare erhob. Er trug den schwersten Baustein herbei zu einem Tempel für den größten aller Dichter, und, was noch preisenswerter, er gab sich die Mühe, den Boden, worauf dieser Tempel erbaut werden sollte, von dem alten Schutte an zu reinigen.“

So wird die Galerie der Schönen, der Intrigantinnen, der Leidenden und der Holden aus Shakespeares Dramen von der Präambel an bereits weit aus mehr als ein bloßer Streifzug durch die dramatische Frauenwelt – Heine, der begnadete Feuilletonist, nimmt die Miniaturen sozusagen als journalistische „Aufhänger“, um über Kultur, insbesondere die Theaterwelt und Literatur, Politik, Soziales, Religion und viele weitere Themen zu schreiben. Insbesondere findet sich in diesem Buch, das ein wenig ein Schattendasein unter den Heine`schen Werken führte, eine treffende Analyse des Antisemitismus, selbstverständlich bei den Frauenfiguren aus dem „Kaufmann von Venedig“.

Julia

Die „Shakespeare Gallery“ wurde 1836 zunächst vom britischen Verleger Charles Heath veröffentlicht: 45 Bilder von Frauenfiguren aus Shakespeares Dramen, Stahlstiche fiktiver Cassandras, Ophelias, Cleopatras, Julias bis hin zu einer ziemlich vergrätzt schauenden und leicht übergewichtigen Lady Macbeth. Das britische Original war mit Zitaten aus den Stücken ergänzt – ein Ansatz, der eines Heines kaum würdig gewesen wäre. Dieser, wie immer in Geldnöten, nahm das Werk als Auftragsarbeit an. Für die deutsche Ausgabe, für die der Verleger Henri-Louis Delloye die Lizenz erhalten hatte, schrieb Heine 1838 innerhalb weniger Wochen ausführliche Essays zu den „dramatischen“ Frauenfiguren, die oftmals alles andere zum Inhalt haben – nur nicht die Frau. Nur jene weiblichen Gestalten aus den Komödien wurden dann auch in der deutschen Ausgabe von HH mit Zitaten aus den Shakespeare`schen Werken beglückt.

Lady Macbeth

Selbst diese Schönheitsgalerie stieß bei der preußischen Zensur auf Missfallen, wie Jan-Christoph Hauschild, Autor, Germanist und Mitarbeiter am Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf in seinem Nachwort zur Ausgabe 2014 schreibt.

Den Beamten missfiel, dass Heines „ungezügelte Spottlust (…) die Gegenstände seiner vielfachen Antipathien mit dem ganzen Übermut seines reichen Talentes“ geißle. „Hauptsächlich“ sei es England, das er „mit schneidendem Witz und galliger Bitterkeit“ verfolge und wozu sein „Enthusiasmus für Frankreich und Franzosentum“ den „entschiedensten Gegensatz“ bilde.

Letztendlich ging das Werk jedoch durch und war eines von den insgesamt nur vier Heine-Büchern, die in Preußen verkauft werden durften. Zum Glück. Denn nebst den außerliterarischen Streifzügen und Seitenhieben bot Heine damals schon mit seinen Schriften dem Lesepublikum einen hervorragenden Zugang zu Shakespeares Welt – das Buch verdient allein deswegen einen besseren Rang in der Shakespeare-Literatur, als es bisher innehatte. So sieht Eduard Engel in seinem Vorwort zur 1921 erschienenen Gesamtausgabe Heines nur zwei deutsche Schriftsteller, die in ihrer Shakespeare-Kenntnis von gleichem Rang seien: Heinrich Heine und Goethe.

Portia

Wie immer man im einzelnen über Heines Auffassungen Shakespeare`scher Gestalten - er spricht durchaus nicht bloß immer von den weiblichen – denken mag, der Wert seiner kleinen und größeren Abhandlungen über Shakespeares Meisterdramen kann keinem entgehen, der die Werke gründlich kennt, aber auch keinem, der einigermaßen mit der Shakespeare-Literatur vertraut ist. Und man wäge die wissenschaftliche Grundlage, worauf Heine zu jener Zeit, vor dem Erscheinen der bedeutendsten Arbeiten über Shakespeare fußen konnte.“

Die Bandbreite der Themen, die Heine anhand der Frauenportraits auffächert, kann hier in einer Inhaltsangabe kaum wiedergegeben werden. Ich halte es wie Heine selbst und übernehme den Schlüsseldienst:

„Die vorstehenden Blätter sollten nur dem lieblichen Werke als flüchtige Einleitung, als Vorgruß, dienen, wie es Brauch und üblich ist. Ich bin der Pförtner, der Euch diese Galerie aufschließt, und was Ihr bis jetzt gehört, war nur eitel Schlüsselgerassel.“

Heinrich Heines „Shakespeares Mädchen und Frauen“ wurde nun anlässlich des Jubiläumsjahres von Hoffmann und Campe wieder aufgelegt – das Buch ist auch handwerklich gut gemacht, mit den Abbildungen von 1838 versehen, im Schuber und mit Lesebändchen.

William Shakespeare - Sonett 116

Let me not to the marriage of true minds
Admit impediments. Love is not love
Which alters when it alteration finds,
Or bends with the remover to remove:
O no; it is an ever-fixed mark,
That looks on tempests, and is never shaken;
It is the star to every wandering bark,
Whose worth’s unknown, although his height be taken.
Love’s not Time’s fool, though rosy lips and cheeks
Within his bending sickle’s compass come;
Love alters not with his brief hours and weeks,
But bears it out even to the edge of doom.
If this be error and upon me proved,
I never writ, nor no man ever loved.

Ich laß, wo treue Geister sich vermählen,
kein Hemmnis gelten. Liebe wär nicht sie,
wollt sie, wo Wandlung ist, die Wandlung wählen;
noch beugt sie vor dem Beugenden die Knie.

O nein, sie steht, ein unverrückbar Zeichen,
sie sieht über die Stürme weg, sie währt;
sie ist der Barke Stern, hoch, ohnegleichen -:
die Höh - ermessen, unbekannt sein Wert.

Legt sie, die Sichel, sich auch um die Wangen,
die rosigen - Lieb’ ist kein Narr der Zeit.
Nicht können Stunden, Wochen sie belangen;
der Jüngste Tag, er findet sie bereit.

So ich dies hier als Wahn erwiesen seh,
so schrieb ich nie und keiner liebte je.

Übersetzt von Paul Celan (1967)

Fürwahr! nicht will ich die Vermählung hindern
Getreuer Seelen. Lieb’ ist ja nicht Liebe
Wenn sie beim Wankelmuth sich kann vermindern,
Und nicht auch treu dem Ungetreuen bliebe.

O nein! Sie ist ein starker Felsenriff,
An dem sich Sturm und Brandung donnernd bricht,
Ein Stern ist sie, für manch bedrängtes Schiff,
Gemessen ist sein Stand, sein Einfluß nicht.

Lieb’ ist kein Narr der Zeit: der Wangen Blüthe,
Sie fällt in ihrer Sense raschem Schwung,
Doch altert nie ein liebendes Gemüthe,
Am jüngsten Tag ist noch die Liebe jung.

Und ist dies falsch, ward’s nicht von mir geübt,
So schrieb ich nie, so ward auch nie geliebt.

Übersetzt von Dorothea Tieck (1826)

Shakespeare beschreibt hier die Liebe in ihrer idealsten (oder idealisierten?) Form. Gepriesen wird die Liebe, die Verbindung, die auf Vertrauen und Verstehen baut. Wahre Liebe, so sagt der Dichter, “is an ever-fix’d mark”, die jede Krise übersteht. In den letzten beiden Zeilen versichert sich der Poet noch einmal selbst – Liebe ist keine Täuschung, kein Irrtum. Dieses Wort wählte zunächst Paul Celan (ein Shakespeare-Verehrer, der die Sonette komplett übersetzte) für seine Übertragung. Später jedoch ersetzte er den „Irrtum“ durch „Wahn“ – für eine Art Liebe, die immer auch an eine Form des Wahn-Sinns erinnern könnte. Celan bleibt auch bei Übersetzungen von Lyrik anderer immer Celan. Wie unterschiedlich im Sprachstil und Sprachfluss und zuweilen auch in der inhaltlichen Interpretation Lyrik-Übersetzungen sein können, machen die beiden Beispiele deutlich. Die Liebe ist kein Narr der Zeit (alle Liebeslust will Ewigkeit) – doch während sie bei Celan für den jüngsten Tag bereit ist, bleibt sie bei der Tieck noch jung. Die unterschiedlichen Temperamente der beiden Übersetzer werden an solchen Feinheiten nur allzu deutlich.

Weitere Shakespeare-Sonette hier:
Sonett 18

Sonett 66
Sonett 130

William Shakespeare - Sonett 66

Tir’d with all these, for restful death I cry,
As, to behold desert a beggar born,
And needy nothing trimm’d in jollity,
And purest faith unhappily forsworn,
And guilded honour shamefully misplaced,
And maiden virtue rudely strumpeted,
And right perfection wrongfully disgraced,
And strength by limping sway disabled,
And art made tongue-tied by authority,
And folly (doctor-like) controlling skill,
And simple truth miscall’d simplicity,
And captive good attending captain ill:
Tired with all these, from these would I be gone,
Save that, to die, I leave my love alone.

Müde von der Welt, allein die Liebe lohnt zu leben – das Sonett 66 von William Shakespeare, in seinem melancholischen Weltschmerz, um nicht zu sagen, Weltekel, hebt es sich heraus aus den 154 Sonetten. Auch an diesem wunderbaren Stück Lyrik haben sich zahllose Übersetzer versucht – mit wechselndem Erfolg.

Anbei vier Beispiele, wie die Shakespeare-Übertragung im Lauf der Zeit auch Sprachstil, Zeitgeist und sogar „Ideologie“ unterworfen war – da macht Biermann ihn flugs zum „Genossen“ in einem etwas peinlich-exaltiertem Vortrag (siehe Video).
Herausragend die Übersetzungen von Christa Schuenke – sie waren denn auch Grundlage der Inszenierung von Robert Wilson am Berliner Ensemble mit der Musik von Rufus Wainwrigh: http://www.berliner-ensemble.de/repertoire/titel/38/shakespeares-sonette

Den Tod mir wünsch’ ich wenn ich ansehn muß
Wie das Verdienst zum Bettler wird geboren
Und hohles Nichts zu Glück und Überfluß,
Und wie der treuste Glaube wird verschworen,

Und goldne Ehre schmückt manch schmachvoll Haupt,
Und jungfräuliche Tugend wird geschändet,
Und wahre Hoheit ihres Lohns beraubt,
Und Kraft an lahmes Regiment verschwendet,

Und Kunst im Zungenbande roher Macht,
Und Wissenschaft durch Schulunsinn entgeistert,
Und schlichte Wahrheit als Einfalt verlacht,
Und wie vom Bösen Gutes wird gemeistert –

Müd’ alles dessen, möcht’ ich sterben – bliebe
Durch meinen Tod nicht einsam meine Liebe.

Übertragung von: Friedrich Bodenstedt (1819 bis 1892)

Dies alles müd ruf ich nach todes rast:
Seh ich Verdienst als bettelmann geborn
Und dürftiges Nichts in herrlichkeit gefasst
Und reinsten Glauben unheilvoll verschworn

Und goldne Ehre schändlich missverwandt
Und jungfräuliche Tugend roh geschwächt
Und das Vollkommne ungerecht verbannt
Und Kraft durch lahme Lenkung abgeflächt

Und Kunst schwer-zungig vor der obrigkeit
Und Geist vorm doktor Narrheit ohne recht
Und Einfachheit missnannt Einfältigkeit
Und sklave Gut in dienst beim herren Schlecht

Dies alles müd möcht ich gegangen sein,
Liess ich nicht, sterbend, meine lieb allein.

Übertragung von: Stefan George (1868-1933)

 

Müd müd von all dem schrei ich nach dem Schlaf im Tod
Weil ich ja seh: Verdienst geht betteln hier im Staat
Seh Nichtigkeit getrimmt auf Frohsinn in der Not
Und reinster Glaube landet elend im Verrat

Und Ehre ist ein goldnes Wort, das nichts mehr gilt
Und einer Jungfrau Tugend wird verkauft wie’n Schwein
Und weil Vollkommenheit man einen Krüppel schilt
Und weil die Kraft dahinkriecht auf dem Humpelbein

Gelehrte Narrn bestimmen, was als Weisheit gilt
Und Kunst seh ich geknebelt von der Obrigkeit
Und simple Wahrheit, die man simpel Einfalt schilt
Und Güte, die in Ketten unterm Stiefel schreit

Von all dem müde, wär ich lieber tot, ließ ich
In dieser Welt dabei mein Liebchen nicht im Stich.

Übertragung von: Wolf Biermann

All dessen müd, nach Rast im Tod ich schrei,
Ich seh es doch: Verdienst muß betteln gehn
Und reinste Treu am Pranger steht dabei
Und kleine Nullen sich im Aufwind blähn
Und Talmi-Ehre hebt man auf den Thron
Und Tugend wird zur Hure frech gemacht
Und wahre Redlichkeit bedeckt mit Hohn
Und Kraft durch lahme Herrschaft umgebracht
Und Kunst das Maul gestopft vom Apparat
Und Dummheit im Talar Erfahrung checkt
Und schlichte Wahrheit nennt man Einfalt glatt
Und Gutes Schlechtesten die Stiefel leckt.
All dessen müd, möcht ich gestorben sein,
Blieb nicht mein Liebster, wenn ich sterb, allein.

Übertragung von: Christa Schuenke

Noch ein Schwung Shakespeare-Bücher - im Doppelpack von Hans-Dieter Gelfert und Frank Günther

Jahr für Jahr erscheinen Tausende von Titeln über William Shakespeare. Und zu seinem 450. Geburtstag wächst der Bücherstapel noch um einiges an - schier unmöglich, da die Spreu vom Weizen zu trennen, außer man würde nichts anderes mehr lesen und tun. Deshalb hier nun in aller Kürze einige Bücher, bei denen zumindest der Autorenname Qualität oder Originalität verspricht.

Hans-Dieter Gelfert bei C.H. Beck

Der Anglizist Hans-Dieter Gelfert, bis zu seiner Emeritierung Professor für englische Literatur und Landeskunde an der FU Berlin, ist in diesem Bereich ein Fachautor des C.H. Beck-Verlags. Seine Dickens- und Poe-Biographien habe ich als gut recherchiert, fachlich kompetent und fundiert, wenn auch manchmal etwas zu trocken im Stil empfunden. Von ihm liegen nun zum Shakespeare-Jubeljahr zwei Bücher in seinem „Hausverlag“ vor:

„William Shakespeare in seiner Zeit“, C. H. Beck,2014, 471 Seiten, gebunden, 26,95 Euro, ISBN 978-3-406-65919-5

Verlagsangabe: „In Shakespeares Dramen erscheint der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit als eine Bruchzone. Einerseits drückt sich in Shakespeares Person und in seinen Werken bereits beispielhaft das frühneuzeitliche Bewusstsein der heraufziehenden bürgerlichen Gesellschaft aus, zum andern macht es die bis heute andauernde Aktualität dieses Dichters aus, dass er in seinen Werken den modernen Menschen noch quasi in statu nascendi zeigt. Hans-Dieter Gelfert widmet sich zunächst der Shakespearezeit mit ihren wesentlichen politischen, sozialen und kulturellen Aspekten, danach dem Leben, Denken und Fühlen des Dichters und zuletzt seinem dramatischen Werk. Er macht verständlich, worum es in Shakespeares Werken geht, welcher bewusstseins- und sozialgeschichtliche Umbruch sich darin widerspiegelt und worin Shakespeares Größe besteht. Der biographische Teil versucht, trotz der dürftigen Datenlage anhand der Sonette und sein Gesamtwerk durchziehender zentraler Motive einen Blick ins Herz des Dichters zu werfen. Shakespeare kommt dabei ausgiebig zu Wort. Alle Texte wurden eigens neu übersetzt. Eine Fülle von Bilddokumenten und Illustrationen helfen, Leben, Werk und Zeit Shakespeares sinnfällig zu machen.“

„Shakespeare“, erschienen in der Reihe C.H. Beck Wissen,zweite, durchgesehene Auflage 2014. 128 Seiten, broschiert, 8,95 Euro, ISBN 978-3-406-66377-2

Verlagsangabe: „William Shakespeare ist der wohl größte englische Dichter. Hans-Dieter Gelfert gibt in diesem Buch eine Einführung in Leben und Werk. Er skizziert das gesellschaftliche Bewußtsein der Shakespearezeit und die Grundthemen des Gesamtwerks, interpretiert die wichtigsten Werke und deutet sie vor dem Hintergrund des elisabethanischen Weltbildes und der anbrechenden Neuzeit.“

Mein Hinweis: Fachlich fundiert, stilistisch etwas trocken.

Leseprobe aus „William Shakespeare in seiner Zeit“: „Hierzulande widmet die 1865 gegründete mitgliederstarke Shakespeare- Gesellschaft dem Dichter noch heute alljährliche Tagungen mit Abhandlungen, die in einem Jahrbuch gesammelt herauskommen. Das alles machte den Elisabethaner schon im 19. Jahrhundert zum besterforschten unter den älteren Dichtern der Weltliteratur. Da ist schwer zu begreifen, dass 1857 die Amerikanerin Delia Bacon glaubte beweisen zu können, dass die Werke Shakespeares nicht von dem in Stratford geborenen Schauspieler dieses Namens stammen, sondern von einem zu seiner Zeit berühmteren Zeitgenossen, dem Philosophen und Lordkanzler Francis Bacon, was vor ihr, nach einer mündlichen Überlieferung, bereits 1785 der Pfarrer James Wilmot vermutet haben soll. Ihre verworrene Beweisführung wurde ein Jahr später von William Henry Smith sehr viel schlüssiger fortgeführt. Bei Delia Bacon, die später im Irrenhaus endete, konnte man noch annehmen, dass ihr eigener Name sie zu der Theorie verführte. Doch danach wurden immer neue Kandidaten als Autoren vorgeschlagen, und berühmte Geister reihten sich unter die Zweifler ein, die nicht glauben wollten, dass die gedankenreichsten Dramen der Weltliteratur von einem Schauspieler aus der Provinzstadt Stratford stammen sollten. Inzwischen ist die Liste der vermeintlich «wahren» Verfasser von Shakespeares Werken auf über sechzig angewachsen, und es kommen weiter neue Kandidaten hinzu. So hob die Literaturwissenschaftlerin Brenda James zusammen mit dem Historiker William D. Rubinstein in ihrem Buch The Truth Will Out. Unmasking the Real Shakespeare (2005) den bis dahin nahezu unbekannten Henry Neville auf den Schild. Drei Jahre später glaubte Brenda James, ihre Theorie im Alleingang durch die Aufdeckung eines vermeintlichen Geheimcodes in der Widmung zur Erstausgabe von Shakespeares Sonetten untermauern zu können. Noch jüngeren Datums ist Dennis MacCarthys 2011 publizierte Theorie, wonach Sir Thomas North, den man bis dahin nur als den Übersetzer Plutarchs kannte, der wahre Shakespeare sei.“

Frank Günther bei dtv

Bevor Frank Günther als Shakespeare-Übersetzer Renommee und zahlreiche Preise (u.a. den Christoph-Martin-Wieland-Preis, den Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis und den Johann-Heinrich-Voß-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung) errang, studierte er Anglistik, Germanistik und Theatergeschichte und arbeitete jahrelang selbst als Regisseur. Inzwischen liegen in seiner, durchwegs originellen Übertragung, 34 der insgesamt 37 dramatischen Stücke vor.

Zum 450. Geburtstag „seines Dichters“ kamen darüber hinaus noch zwei weitere Bücher des Übersetzers bei dtv heraus (hier geht es zum „dtv-special“ über Shakespeare: http://www.dtv.de/special/450_jahre_shakespeare/unser_shakespeare/1856/)

„Unser Shakespeare“, dtv premium, 2014, 340 Seiten, broschiert, 14,90 Euro, ISBN 978-3-423-26001-5

Verlagsangaben: Im Kampf um und mit Shakespeare und dessen Werken hat Frank Günther seit fast vierzig Jahren manche Schlacht geschlagen: Gemordet hat er dabei nur in seinen Übersetzungen, und sein Florett wird gefürchtet und bewundert. Denn wenn es um den englischen Dramatiker geht, fliegen auch bei ihm die »WortFetzen«.

Wer war denn dieser weltberühmte Dramatiker und Lyriker überhaupt? War er vielleicht schwul? War er ein singulärer Künstler oder nur ein genialer Handwerker? Ist Shakespeare »unser« wie Goethe oder Schiller und quasi ein Zeitgenosse, der »moderne« Bühnenspektakel liefert? Gegen diese Art der unreflektierten Einvernahme helfen verbürgte Fakten zum Autor und seiner Rezeptionsgeschichte.

Aus der Übersetzer-Werkstatt gibt Frank Günther spannende Einblicke in das »Phänomen Shakespeare«. Seine Anregungen lesen sich mit Vergnügen und zugleich mit großem Wissensgewinn.

Mein Hinweis: Erster Eindruck – höchst amüsant. Dass Frank Günther zumindest ein Original ist und sich nicht um die „Mainstream“-Shakespeare-Wiedergabe zu scheren scheint, das verdeutlicht auch das Interview mit Denis Scheck, zu finden beim Verlagsspezial.

„Shakespeares Wort-Schätze“, dtv, 2014, 224 Seiten, Buchleinen, 9,90 Euro, ISBN 978-3-423-28023-5.

Verlagsangabe: Aber ›Shakespeares Wort-Schätze‹ bieten viel mehr als berühmte Zitate: Erst in längeren Abschnitten erschließen sich Gemeintes und die sprachliche Virtuosität des Dichters aus Stratford am eindrucksvollsten. Dazu gehört natürlich auch der Originaltext, der parallel zur Übersetzung dargeboten wird.

Mein Hinweis: Für das schnelle Kennenlernen der Übersetzungskunst von Frank Günther sicher geeignet, auch das Nachwort des Übersetzers ist lesenswert. Ansonsten aber eher hübsches Beiwerk, kann man, muss man aber nicht haben.

Leseprobe aus „Unser Shakespeare“: William Shakespeare. Licht meines Lebens, Befeurer meiner Leidenschaften. Meine Sucht, meine Seele. Wwwil-li-ammm-shake-spppeare:Die Zunge rollt schmiegsam über den Gaumen, dreimal schließen die Lippen sich kosend um Deinen Namen und rufen Dich bei drei im Explosivlaut in die Welt – Will. Jemm. Shake. S-pear. O Du Einzigartiger, Du Weltweiser, Du Weltschöpfer, Du Weltverzauberer, Du Menschheitserfinder, Du Seelenabgrundergründer, Du Alles-immer-schon-gewusst-Habender, Du Alles-Beweisender, Du Halt in Untiefen, Du Leuchtfeuer im Grauen der Welt, Du Mein-dein-sein-unser-euer-ihr-Shakespeare, der Du je dem alles bist, was Du ihm sein sollst, Du Unfassbarer, Du Dich Entziehender, Du allen Zwecken Dienender, Du Chamäleon, Du proteischer Verwandler, Du Angepasster, Du Zwangsthema für Hausarbeiten, Seminararbeiten, Dissertationen und Habilitationen, Du Stoffgeber für Aufsätze, Essays und Bücher, Du Motto für Festschriften und Gedenkfeiern, Du Anreger für Weltentwürfe und Gedankengebäude, Du Paradeplatz für Theorieexerzierer und Hypothesenbauer…

William Shakespeare - Sonett 130

My mistress’ eyes are nothing like the sun;
Coral is far more red than her lips’ red;
If snow be white, why then her breasts are dun;
If hairs be wires, black wires grow on her head.
I have seen roses damask’d, red and white,
But not such roses see I in her cheeks;
And in some perfumes is there more delight
Than in the breath that from my mistress reeks.
I love to hear her speak, yet well I know
That music hath a far more pleasing sound;
I grant I never saw a goddess go -
My mistress when she walks treads on the ground.
And yet, by heaven, I think my love as rare
As any she belied with false compare.

William Shakespeare

In ihrem aug ist nichts vom sonnenstrahl /
Korall ist röter als ihr lippenpaar /
Wenn schnee weiss ist so ist ihr busen fahl /
Sind locken draht / ist schwarzer draht ihr haar
Ich schaute rosen zwiefarb - weiss und rot /
Doch solche rosen trägt nicht ihr gesicht –
Und ich fand duft der mehr an reizen bot
Als jener hauch der aus dem mund ihr bricht.
Ihr reden hört ich gern / doch ich muss gestehn:
Musik hat einen angenehmern klang.
Ich sah noch niemals eine göttin gehen:
Sie schreitet auf dem grund bei ihrem gang //
Und doch ist meine liebe mir so reich
Als jede die man fälscht mit lug-vergleich)

Übersetzung von Stefan George

Ihr Auge glänzt nicht wie das Sonnenlicht,
nicht leuchten ihre Lippen wie Korallen.
Ist weiß der Schnee, ihr Busen ist es nicht,
und schwarzer Draht statt Haar gefällt nicht allen.

Ein Rosenbeet in roter, weißer Pracht
sah oft ich; aber nicht auf ihren Wangen.
Und oft war süßrer Duft mir zugebracht,
als ich von ihrem Atem hab empfangen.

Gern hör ich sie; doch kann ich nicht bestreiten,
daß meinem Ohr Musik doch holder tönt.
Noch niemals sah ich eine Göttin schreiten;
sie aber ist an Erdenschritt gewöhnt.

Und doch stellt sie mir jede in den Schatten,
für die die Schwärmer Schmeichelworte hatten.

Übersetzung von Karl Kraus

Ein seltsames Liebesgedicht: Eigentlich ist die Liebste alles andere als lieblich…drahtiges Haar, grelle Stimme, trampeliger Schritt. Und dennoch! So eloquent wie Shakespeare können wenig andere das Blatt noch in den letzten beiden Zeilen wenden. Dies zeigen, meiner Meinung nach, auch die beiden Übersetzungen der Antipoden Stefan George und Karl Kraus. Während George in schöner Sprache schwelgt, bringt Kraus den Inhalt auf den Punkt – so unterschiedlich können Interpretationen sein. Mein Geschmack neigt sich hier unbenommen via KK.

Es gibt wenig andere literarische Werke, die so die Phantasie und den Ehrgeiz anregen wie Shakespeares Sonette. Nicht nur um die Deutung und Interpretation – sind die ersten 126 Gedichte einem Mann gewidmet, warum dann in den verbleibenden 30 die Hinwendung zur Anbetung der Frau, handelt es sich um reale Personen und natürlich über allem: sind sie von Shakespeare selbst? – lässt sich trefflich streiten, sondern auch um die passende Übersetzung. Die Übertragungen in die deutsche Sprache sind zahllos. Wie die richtige, passende Übersetzung aus der riesigen Auswahl finden?

Eine gute Handreichung bietet dazu das Essay von Gesa Horstmann, veröffentlicht bei der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft: „Shakespeare in Goldschnitt oder der Weg zum deutschen Bücherschrank“.

Einen Überblick über deutsche Shakespeare-Übersetzer (der Sonette) findet man auch hier:
http://shine.unibas.ch/translatorsgerman2.htm

Hier noch die Rezitation des Originals: Alan Rickman, der beim jugendlichen Publikum als Severus Snape in den Harry Potter-Verfilmungen Bekanntheit erlangte, wirkte auch an einigen Produktionen der Royal Shakespeare Company mit.

Freundlicherweise hat mich eine Leserin auf diese Spitzeninterpretation aufmerksam gemacht. Die darf nicht unterschlagen werden:

 

Tobias Döring: Wie er uns gefällt - Gedichte an und auf William Shakespeare (2014).

„Nicht, dass Dein Name uns erweckte Neid,
Mein Shakespeare, preis` ich Deine Herrlichkeit,
Denn wie man Dich auch rühmen mag und preisen:
Zu hohen Ruhm kann keiner dir erweisen!“

Ben Jonson (1572-1637)

Schon sieben Jahre nach Shakespeares Tod pries ein Autorenkollege den Genius dieses Mannes, dessen Name auch 450 Jahre nach seiner Geburt unvergessen ist. Ben Jonson hinterließ diese Verse auf seinen Freund in dem berühmten Folioband, der Shakespeares Werke 1623 versammelte – ein Widmungsgedicht, das freilich ein wenig großsprecherisch wirkt, das aber seine Gültigkeit bis heute nicht verloren hat.

Jahr für Jahr erscheinen Tausende von neuen Publikationen über den berühmtesten aller Dramatiker – zum 450. Jubiläum nimmt die Flut besondere Ausmaße an. Wer zwischen all den Sachbüchern, Biografien, Neuübertragungen seiner Werke und Jubiläumsschmuckbändchen einen besonderen Zugang sucht, für den hat der Manesse Verlag (der selbst sein 70jähriges Bestehen feiern kann) etwas bereit: „Wie er uns gefällt“ ist ein schön aufgemachter Lyrikband, der rund 120 Gedichte an und auf William Shakespeare versammelt.

„Wir vergessen, dass es Dich gibt,
Nicht unachtsam, sondern weil Du in unserem Blut
Lebst und den Nerven und in jeder Zelle unsres Hirns.“

Elizabeth Jennings (1926-2001)

Für eine qualitätsvolle Auswahl steht schon der Name des Herausgebers: Tobias Döring, der an der LMU München einen Lehrstuhl für Englische Literaturwissenschaft innehat und von 2011 bis April 2014 Präsident der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft (auch die in einem Jubeljahr in ihrem 150. Bestehen) war.

Tobias Döring umreißt das Konzept in seinem Nachwort:

„In zwölf Dutzend Spielarten zeigt unser weltpoetisches Kabinett, welchen Reim sich Lyriker auf Shakespeare und sein Werk gemacht haben – in vier Jahrhunderten, zehn Sprachen und mehr als zwanzig Ländern.“
(Schön ist es, dass die Gedichte nicht nur jeweils in der deutschen Übersetzung, sondern auch im Original abgedruckt sind).

„Weit entfernt vom Anspruch auf Repräsentativität oder gar Vollständigkeit, will unsere Sammlung einen möglichst vielstimmigen und vielgestaltigen Eindruck davon vermitteln, wie das Bühnenwerk in Gedichten aufgegriffen, verwandelt, neu akzentuiert, fort- und umgeschrieben worden ist. Darin wird zugleich erfahrbar, wie Autoren und Autorinnen vom 17. Jahrhundert bis in unsere Gegenwart im Verweis auf Shakespeare ihre eigene Position bestimmen.“

Ein Gespräch komme damit in Gang, meint der Herausgeber – zwischen Shakespeare und den Lyrikern, zwischen den Lyrikern und den Lesern, die wiederum den Nachhall der Gedichte im Theater oder bei der Lektüre erfahren können – ein Lyrikkabinett und gleichsam eine Echokammer in dem anhaltenden Dialog mit dem großen Theatermann. Tatsächlich regen die Gedichte zur erneuten Auseinandersetzung mit dem dramatischen Werken an. Auch weil sie so viel über die Schreibenden selbst und deren Zugang beispielsweise zu „Hamlet“ oder „Wie es euch gefällt“, zu den Königsdramen, aber auch den Komödien verraten.

„Im Keller erteilt die Geheime Staatspolizei
dem Kommunisten Hans Otto Gesangsunterricht
ICH BIN SCHAUSPIELER KEIN VOLK sagt Hamlet
Wenn Laertes politisch wird Er seinerseits
weiß wie man sich dreht und wendet im
Gespräch mit Mördern aus Liebe zur Kunst.“

Heiner Müller (1929-1995)

„So setzt sich das Gespräch mit Shakespeare wie in einer großen Echokammer fort und ließe sich wohl nur dann ganz unterbinden, wenn unsere Kultur zugleich ihre Verständigung über sich selbst jemals einstellen wollte.“

Und diese Verständigung sowie der Dialog mit dem Theatermann hält bis heute an – namhafte Autoren der Gegenwartsliteratur sind in „Wie er uns gefällt“ mit Gedichten vertreten, die erstmals veröffentlicht werden: Mirko Bonné, Nora Bossong, Heinrich Detering, Ulrike Draesner, Durs Grünbein, Ursula Krechel, Friederike Mayröcker, Alexander Nitzberg, Albert Ostermaier und Marion Poschmann.

Thematisch sind die Gedichte nicht, wie es auf der Hand läge, um die einzelnen Stücke angeordnet, sondern um inhaltliche Komplexe wie die Inspiration, die Shakespeare so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie dem Schweizer Autodidakt Ulrich Bräker (1735-1798), unserem deutschen „Dichterfürsten“ (Goethe) oder Vladimir Nabokov gab, um die Welt, die eine Bühne ist, um Figur- und Maskenspiele sowie Spielräume und Vorstellungswelten. Zwei Einzelfiguren des Shakespear`schen Kosmos regen von jeher die Phantasie an – so sind denn auch Hamlet und Ophelia nicht nur Bühnenstars, sondern auch Objekt dichterischer Begierden. Und werden daher mit zwei eigenen Kapiteln beehrt.

Ophelia von John Everett Millais, 1852.
Siehe Tate-Projekt: http://www.tate.org.uk/learn/online-resources/ophelia

„Ich Hamlet habe kaltes Blut.
Die Welt da draußen ist durchtrieben.
Doch tief im Innern ist noch Glut
für dich – Ophelia – geblieben,

für dich, vom kalten Blut verbannt
aus der durchtriebnen Welt. Verginge
ich – Prinz – im eignen Heimatland -
an einer giftgetränkten Klinge!“

Alexander Blok (1880 – 1921)

„Wie er uns gefällt“, Herausgeber Tobias Döring, Manesse Verlag, gebundenes Buch, Leinen, 336 Seiten, 13,5 x 21,5 cm, ISBN: 978-3-7175-4086-1

William Shakespeare - Sonett 18

Sonnet 18

Shall I compare thee to a summer’s day?
Thou art more lovely and more temperate;
Rough winds do shake the darling buds of May,
And summer’s lease hath all too short a date;
Sometime too hot the eye of heaven shines,
And often is his gold complexion dimm’d;
And every fair from fair sometime declines,
By chance or nature’s changing course untrimm’d;
But thy eternal summer shall not fade,
Nor lose possession of that fair thou ow’st;
Nor shall Death brag thou wander’st in his shade,
When in eternal lines to time thou grow’st:
So long as men can breathe or eyes can see,
So long lives this, and this gives life to thee.

William Shakespeare

Wenn sich Tilmann von 54books nicht gerade in Hamburger Verlagshäusern aufhält (hier klingt durchaus leichter Neid durch), dann stellt er auch einmal ganz unterschiedliche Übersetzungen Shakespear`scher Sonette zusammen:
http://www.54books.de/sonett/. Und kommt mir damit um Monate zuvor.

Weitere Varianten des Sonetts 18 sind hier zu finden:
http://www.deutsche-liebeslyrik.de/europaische_liebeslyrik/shakespeare/shakespeare_18.htm.

Und, weil er so schön den Schmacht in der Stimme hat, hier die Interpretation von Brian Ferry:

Zitate über Old Bill.

James Joyce dichtet in der Art von W.S. an seine Verlegerin Sylvia Beach:

Who is Sylvia, what is she
That all your scribes commend her?
Yankee, young and brave is she
The west this pace did lend her
That all books might published be.

Is she rich as she is brave
For wealth of daring misses?
Throngs about her rant and rave
To suscribe Ulysses
But, having signed, they ponder grave.

Then to Sylvia let us sing
Her darling lies in selling.
She can sell each mortal thing
That`s boaring beyond telling
To her let us buyers bring.
J.J.
nach W.S.

In: “Shakespeare and Company”, Sylvia Beach

Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen:

“Shakespeare ist für aufkeimende Talente gefährlich zu lesen; er nötigt sie, ihn zu reproduzieren, und sie bilden sich ein, sich selbst zu produzieren.”

Ruth Klüger, “Zerreißproben”, Gedichte, 2013, Paul Zsolnay Verlag:

Zuviel Shakespeare, 4. Strophe
Wer nie unter Wörtern zusammengesackt,
sticht zu wie Laertes und stirbt als ein Held.
Doch Hamlet erklärt noch im letzten Akt,
wortgewandt sterbend, sein Leben der Welt.

Ruth Klüger kommentiert ihr Gedicht - eines von zweien, die sich in diesem Buch um Shakespeare drehen - so: “Das Gedicht ist einerseits Ausdruck von Sprachskepsis und andererseits praktisch das Gegenteil, nämlich Staunen darüber, wie vielseitig Shakespeare die Sprache an sich thematisiert. (…) Hamlet verschwendet, wie wir wissen, fünf Akte aufs Aufschieben eines Racheaktes, zu dem er verpflichtet ist, und erklärt uns in jedem einzelnen haargenau, wenn auch nicht unbedingt überzeugend, was ihn vom Handeln abhält. Der Tatmensch Laertes hingegen, der auf genau dieselbe Weise verpflichtet ist, nämlich den Mord am Vater zu rächen, nimmt keine Rücksicht, sondern tut`s einfach, mordet und stirbt auf der Bühne, während sein Opfer, der von ihm getötete Hamlet, bis zum letzten Atemzug redet und redet.”

Peter Brook, “Vergessen Sie Shakepeare” (zum Buch: http://www.alexander-verlag.com/programm/titel/92-Vergessen_Sie_Shakespeare.html):

“Sie werden sich alle noch gut erinnern, wie vor gar nicht langer Zeit die Leute ernsthaft daran gingen aufzuklären, ob Shakespeare wirklich gelebt hat oder nicht, und es hat in den vergangenen hundert Jahren viele Theorien gegeben, die den Namen “Shakespeare” durch andere ersetzten: Bacon, Marlowe, Oxford und so weiter. Das Widersinnige ist auch hier die Tatsache, daß es uns nicht weiterbringt. Man ändert den Namen und sonst gar nichts. Das Geheimnis bleibt bestehen.”

William Somerset Maugham, “Ein Mann mit Gewissen”, Erzählung:

“Einige Tage beschäftigte ich mich mit dem Problem des Gewissens. Die Moralisten versuchen uns zu überzeugen, daß es zu den mächtigsten Antriebskräften menschlichen Verhaltens zählt. Seitdem Vernunft und Mitleid übereingekommen sind, die Hölle als hassenswerten Mythos zu betrachten, sehen viele brave Leute das Gewissen als den obersten Wachtposten an, der die menschliche Rasse auf dem Pfad der Tugend wandeln lässt. Shakespeare zeigte, dass es uns allen zu Feiglingen macht (…).”

Michael Köhlmeier, “Shakespeare erzählt”, 2004, Piper Verlag:

“Tatsächlich erscheinen die Figuren der Weltliteratur vor Shakespeare blaß und relativ unabhängig von uns. Das heißt, sie kommen uns gerade deshalb so blaß vor, weil sie ein von uns unabhängiges Leben führen. Ein literarisches Leben eben. Die Figuren nach Shakespeare aber lassen sich alle auf Shakespearsche Grundmuster zurückführen - wie auch anders: Der Meister hat den Berg ausgebeutet bis auf den letzten Stein.
Also läßt sich zusammenfassen: Shakespeare hat den Menschen und in der Folge die Literatur neu erfunden.”

Virginia Woolf, Tagebuch, 15.8.1924

“Warum übrigens gefallen einem dichterische Werke erst richtig, wenn man älter ist? Mit 20 konnte ich nicht zum Vergnügen Shakespeare lesen, beim besten Willen nicht, obwohl Thoby mich immer wieder dringend dazu aufforderte; jetzt lebe ich auf, wenn ich beim Spazierengehen daran denke, daß ich heute abend 2 Akte von King John lesen werde & mir als nächstes Richard den 2ten vorgenommen habe.”

Friedrich Dürrenmatt, Playboy-Interview, 20.12.1980

DÜRRENMATT: Ich weiß gar nicht, warum mir immer nachgesagt wird, daß ich die Menschen verachte. Das hat auch Ludwig Marcuse einmal behauptet, ein Mann, den ich sehr schätze.

Vielleicht deshalb, weil in Ihren Stücken, die Sie als Komödien ausgeben, reihenweise Menschen umgebracht werden.

DÜRRENMATT: Aber das stimmt doch gar nicht. Das ist ein reines Gerücht. Ich habe viel weniger Leichen als Shakespeare, weil ich zum Beispiel nie Schlachten beschrieben habe. In “Herkules und der Stall des Augias” ist überhaupt keine Leiche, in “Play Strindberg” auch nicht. Das Stück “Der Meteor” hat vier Leichen, gut, aber das ist doch mäßig. In meiner Bearbeitung des “Titus Andronicus” kommt sogar ein Neger, der bei Shakespeare stirbt, mit dem Leben davon. Da habe ich mich also zurückgehalten. Aus mir einen Komödien-Eichmann zu machen, das geht nicht. Aber ich brauche ja meine Stücke nicht zu verteidigen. Ich habe mich nie darum gekümmert, was andere über mich sagen.

Der Schweizer Dramatiker am 20.12.1980 in einem Interview im Playboy - diesem Magazin, dass alle wegen der tollen Literaturbesprechungen kaufen. :-)

Dietrich Schwanitz, „Bildung. Alles, was man wissen muss“, 1999, Eichborn Verlag:

„Es war England vorbehalten, der Menschheit den Dichter aller Dichtern und den Dramatiker aller Dramatiker zu schenken, der nächst Gott von der Welt am meisten geschaffen hat: William Shakespeare (1564-1616), geboren am Tage des Heiligen Georg, des Schutzpatrons Englands, dem 23. April 1564, zu Stratford-upon-Avon, verheiratet mit der acht Jahre älteren Anne Hathaway aus Stratford, verschwunden und in London wieder aufgetaucht, von Kollegen als Hansdampf-in-allen-Gassen beschimpft, Schauspieler, Teilhaber, und Stückeschreiber des Theaters der Lord Chamberlain`s Men, Autor von Komödien, Historien und Tragödien, Verfasser von Kassenschlagern und theatralisches Genie par excellence, adoptiert von den Dichtern der deutschen Romantik und zum Vorbild erhoben, der kleine Bruder Gottes, dessen Werk er am achten Schöpfungstag durch seine eigene poetische Schöpfung verdoppelt, gestorben an seinem Geburtstag, dem 23. April 1616, dem Tag der Vollendung, in der Pfarrkirche zu Stratford begraben, während er selbst ewig weiterlebt in seinen unsterblichen Werken. Amen.“

Das war 1999 - inzwischen hat sich die Wissenschaft auf diese Lebensdaten festgelegt: Gesichtert scheint der Tauftag am 26.4. 1564, der Todestag am 3.5.1616.

Stefan Zweig, Tagebuch, 14.9.1912:

“Gar nichts gearbeitet. Gar nichts. Nur gelesen, Shakespeare allerdings (einer merkwürdigerweise, der mich immer reizt, statt zu entmutigen) dann Briefe dictiert und abends wieder lang gelesen. Aber jetzt muß ich endlich beginnen, ich zehre zu viel von Vergangenem.”

Harold Bloom: Shakespeare. Die Erfindung des Menschlichen (1998).

Ein Gastbeitrag von Klaus Krolzig

Der 1930 geborene Harold Bloom gilt als bedeutendster lebender Literaturwissenschaftler des englischsprachigen Raums, ein deutsches Feuilleton behauptete gar, der gesamten Welt.

Den wichtigsten Platz in seinem rund 20 Buchveröffentlichungen umfassenden Werk nimmt William Shakespeare ein. Das 1998 publizierte Buch  “Shakespeare. Die Erfindung des Menschlichen”  ist ein 1100-Seiten-Wälzer. Bloom konzentriert sich darin auf das Werk und geht die Stücke eines nach dem anderen in der zeitlichen Reihenfolge ihrer Entstehung durch. Er interpretiert und kommentiert, wobei er die Kenntnis der Texte voraussetzt. Da ist es hilfreich bei der Lektüre des Buches das entsprechende Stück griffbereit zu haben.

Harold Bloom ist ein bravouröser Stilist. Er schreibt kenntnisreich und phantasievoll. Dazu beherrscht er die extrem seltene Kunst, klug, warm und ansteckend von seiner Liebe, die Shakespeare heißt, zu schreiben. Er scheut keine Superlative noch religiöse Metaphern, ohne je hohles Pathos zu produzieren oder unelegant zu formulieren.

bloomSo sehr sich Bloom auch bemüht, allen Dramen Shakespeares gerecht zu werden, er deutet das Gesamtwerk als auf “Hamlet” zulaufend und von ihm ausgehend. Für Bloom ist der “Hamlet” das Epizentrum des shakespeareschen Universums, auch wenn er historisch genau vermerkt, daß zu Lebzeiten des Dichters Falstaff beliebter gewesen sein dürfte als der Dänenprinz. Aber seit Shakespeare gelte, so Bloom, daß Hamlet nach Jesus “die am meisten zitierte Stimme in der abendländischen Welt” sei. Ich habe das nicht nachgeprüft, will es Bloom aber gern glauben, auch wenn ich vermute, daß “Faust” da noch ein Wörtchen  mitzureden hätte.

Bloom erhebt Hamlet und Falstaff zu Gestalten von archetypischem Rang, wie Odysseus, wie Don Quichote, von Jesus war schon die Rede. In Sachen Hamlet will ich gerne zustimmen, bei Falstaff habe ich da so meine Zweifel.

Man reibt sich manchmal wirklich die Augen. Der Elisabethaner ist ihm in der Tat eine Art Religionsstifter. Hamlet misst er ähnlichen Rang bei wie dem Jahwe des Alten Testaments und dem Jesus des Markus-Evangeliums. «Wenn je ein Autor zum Rang einer Gottheit aufgestiegen ist, so Shakespeare», dekretiert er eingangs, und an anderer Stelle sagt er, «dass es bei Shakespeare nicht mit natürlichen Dingen zugeht», was nicht die Geister in den Stücken, sondern den Autor selber meint.

Harold Blooms Credo lautet “Shakespeare ist es, der uns erfunden hat.” Wieviel wir Shakespeare verdanken, wie sehr wir seine Geschöpfe sind, klärt Blooms opus magnum überzeugend und auf bezaubernd persönliche Weise: “In Rosalind verliebe ich mich stets von neuem und wünsche sehr wohl, sie existiere leibhaftig in den niederen Sphären unserer nichtliterarischen Welt.” Wie Bloom verliebten sich schon die Romantiker in Shakespeares Gestalten, in Rosalind, in Ophelia, in Julia, und ihnen verdankt sich, was wir als romantische Liebe kennen.

Wir können sogar mit Hilfe der Stücke hinabsteigen in unsere eigene Unterwelt: “Shakespeare will uns auf die Reise ins dunkle Innere schicken, und dort sollen wir uns wahrer und fremder entdecken, als Mörder im Geist und als Mörder des Geistes.” Geistesabenteuer sind ohne Zahl zu bestehen, folgt man Bloom durch die Reihe der Tragödien, Komödien und Romanzen, deren Analyse  unerhörte Erkenntnislust auslöst.

Das Buch lässt sich als idealer Schauspiel(ver)führer gebrauchen. Dauernd juckt es in den Fingern, wieder den Original-Text aufzuschlagen, oder man möchte gleich ins Theater laufen, auch wenn Bloom davon wegen grundsätzlich zu schlechter Aufführungen abrät. Trotzdem lasse ich mir in diesem Shakespeare gewidmeten Jubiläumsjahr die eine oder andere Aufführung nicht entgehen und werde wohl noch des öfteren sowohl vor als auch nach dem Schauspiel-Besuch  im “Bloom” nachschlagen. Und ob wir es wollen oder nicht, nach Bloom sind wir alle Shakespearianer.

Harold Bloom, “Shakespeare. Die Erfindung des Menschlichen”, Berlin-Verlag, 2000, (leider vergriffen, aber antiquarisch bestimmt noch zu bekommen)

Neil MacGregor: Shakespeares ruhelose Welt (2013).

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„Es liegt eine merkwürdige Kraft in Dingen: Sie können, einmal hergestellt, unser Leben verändern.“

Neil MacGregor, „Shakespeares ruhelose Welt“

Seltsam ist`s, im Nebel zu wandeln…seit Tagen hängt eine Nebelwand über der Fuggerstadt. Von der Straße dringen die Geräusche nur wie in Watte gepackt in mein Arbeitszimmer. Selbst das Augsburger Rathaus, sonst vom Bürofenster fast handgreiflich nah, bleibt in ein diffuses Licht gehüllt. Das Wahrzeichen der Stadt im Nebelkleid. Ich überlege, ob vor 400 Jahren, als der Grundstein für diesen Bau, der, so ein neuzeitlicher Slogan, „Bürgersinn und Bürgerstolz“ repräsentieren soll – und – so ist doch anzunehmen – auch in der freien Reichsstadt zum Repräsentationszweck der wenigen Privilegierten, der wenigen wirklich „Freien“, vor allem auf dem Rücken des städtischen „Unterbaus“ erhoben wurde, ein Bau, der wahrscheinlich Leben&Kraft der Handwerker, Arbeiter, Arbeitssklaven kostete – gut, ich überlege, ob dieser Bau auch schon vor vierhundert Jahren wochenlang im Nebel versank. Und warum sich die Augsburger Patrizier darin überschlugen, Florenz, die mächtige Konkurrentin im Handel, durch Kopieren des Renaissancestils zu übertrumpfen, statt Eigenes zu gestalten, und ob auch an der Themse heute Nebel herrscht…

Vom nebeligen Augsburg 2014 zur Grundsteinlegung 1615 in der freien Reichsstadt sind es nur wenige Schritte zurück in das London der 1590er Jahre. Ein Denkmal wie das Augsburger Rathaus vermag immer noch Geschichten zu erzählen vom Ehrgeiz und den Ambitionen reicher Kaufleute, von Machtbewusstsein und Machtdemonstrationen, von Konkurrenz und Wettbewerb in einer bereits globalisierten Welt.

9783406652875_largeEiner, der solche Geschichten ebenfalls trefflich wiedergibt, ist Neil MacGregor. Der Kunsthistoriker war Leiter der National Gallery in London, seit etlichen Jahren ist er der oberste Hüter des Sammelsuriums im British Museum. Bereits mit seiner „Geschichte der Welt mit 100 Objekten“ landete er einen Bestseller. Zum Shakespeare-Jubiläumsjahr kam nun ein „Sequel“ – bewusste Wortwahl, denn dieses Buch lebt mit und vom Medium Bild und der multimedialen Weiterverwertung als Radioreihe und Hörbuch. „Shakespeares ruhelose Welt“, ein schön aufgemachter Bildband, der am Beispiel von 20 Objekten mitten hineinstößt in das turbulente, von der Pest gebeutelte, von den Iren und Schotten in die Zange genommene, den Spaniern und Katholiken unterwanderte, Magie-gläubige, nach Italien schielende und von aufständischen Lehrlingen gerüttelte London unter Elisabeth I.

Neil MacGregor erhebt nicht den Anspruch, Shakespeares Dramen zu analysieren oder Neues aus dem Dichterleben zu enthüllen.

„Vom Charisma der Dinge bewegt, unternimmt dieses Buch zwanzig Reisen in eine vergangene Welt – dies aber nicht in der Absicht, uns irgendeinem bestimmten Heiligen oder Helden näher zu bringen, schon gar nicht der Gestalt im Zentrum des Geschehens selbst, William Shakespeare. Wir wissen über das, was er tat, recht wenig, können nicht hoffen, mit auch nur annähernden Sicherheit aufzudecken, was er dachte, woran er glaubte. Shakespeares innere Welt bleibt, so bitter das ist, im Dunkeln. Stattdessen aber erlauben uns die Objekte in diesem Buch, an den Erfahrungen seines Publikums teilzuhaben (…).“

Wahren Shakespearianern bietet dieser opulente Bildband also keine neuen Erkenntnisse zu Leben und Werk. Es ist aber auch weitaus mehr als nur ein „coffee table book“, das sich im Jubiläumsjahr hübsch auf dem Wohnzimmertisch ausmacht. Kein „biopic“ auf Papier to go ohne inhaltlichen Anspruch – sondern ein fundiert und lebendig geschriebener Führer durch die englische Geisteswelt und Geschichte dieser dramatischen Zeit. Das Buch eröffnet einen Blick auf die Welt, in der der Dichter und seine Anhänger lebten. Unterstützt von den Shakespeare-Kennern des British Museums, das im vergangenen Jahr die Ausstellung „Shakespeare: Staging the world“ zeigte, verknüpft Neil MacGregor historisches Geschehen, Zeitkolorit, Dokumentiertes mit den Dramen und der Gedankenwelt Shakespeares. Und zeigt damit auch auf, wie modern der Dichter zu seiner Zeit war…

Ein Beispiel: Noch die Eltern des Dramatikers, mutmaßt Neil MacGregor, hatten wohl nie das Ticken einer Uhr gehört. Zimmeruhren waren um 1590 etwas Neues, ein Statussymbol. „Zeit des Wandels, Wandel der Zeit“ ist dieses Kapitel überschrieben. Mit den Uhren wird das Diktat der Zeit ein anderes, wird sich der Alltag der Menschen verändern. Reflektionen über die Zeit – sie sind auch ein fester Bestandteil Shakespearscher Werke. MacGregor verknüpft dieses geschickt, zeigt, was die Stunde geschlagen hat – sowohl im Alltag der Leute, als auch auf der Bühne des „Globe“.

Weil man vom Schöpfer von „Romeo und Julia“, „Othello“, „Hamlet“ und „Macbeth“ so wenig wissen kann, bringt der MacGregor die Welt, in der Shakespeare lebte, auf andere Weise nahe - mit Gabeln, Mützen, Kelchen, Spiegeln. In einem, dem letzten Kapitel macht der Kunsthistoriker das Shakespear`sche Werk zum Objekt: Denn nicht nur die Dinge haben die Macht (siehe Eingangszitat), das Leben der Menschen  zu verändern.

Auch die Worte, die Sprache können es auf den Kopf stellen, uns zu Taten bewegen, eine Welt zum Einsturz bringen. So mancher ist in ein Shakespeare-Stück gegangen und kam, wie nach einem Sommernachtstraum, als ein anderer heraus. Und auch  450 Jahre nach seiner Geburt ist der große Dramatiker und Lyriker William Shakespeare immer noch ein großer Weltveränderer - der Zauber und die Macht seiner Worte ungebrochen. Sein Werk hat die Jahrhunderte überlebt, und viel mehr als das: Es ist immer noch in uns lebendig. Dies verdeutlicht Neil MacGregor eben vor allem im letzten Kapitel „Shakespeare erobert die Welt“. Lauten könnte es auch: „Shakespeare hilft, in der Welt zu bestehen“. Denn selbst in den dunkelsten Winkeln hilft und trägt das Dichterwort weiter - sei es bei der Trauung von Marcel Reich-Ranicki im Warschauer Ghetto, sei es im Gefängnisalltag auf Robben Island. Für ein einziges Buch durften sich die Gefangenen rund um Nelson Mandela für die lange Dauer der Haft entscheiden – die Wahl fiel auf Shakespeares gesammelte Werke.

Neil MacGregor, „Shakespeares ruhelose Welt“, C. H. Beck, 2013, 347 Seiten mit 125 farbigen Abbildungen, 29,95 Euro.

Kurt Kreiler: Der zarte Faden, den die Schönheit spinnt (2013).

„Empfanget, werte Dame, den roh und rauhen Vers,
leiht der Erzählung Euer Ohr, mit der ich vor Euch tret.“

Edward de Vere

Am 26. April 2014 wird – allen Zweiflern und Skeptikern zum Trotz – sein 450. Tauftag gefeiert: William Shakespeare, der wohl berühmteste Dramatiker und Dichter der Welt, manche sagen auch: „der Beste“, soll drei Tage zuvor das Licht der Welt erblickt haben, gesichert ist nur der Taufeintrag im Kirchenregister in Stratford-upon-Avon. Bevor ich jedoch den kompletten Beitrag im Konjunktiv verfasse und hätte, könnte, wäre schreibe: Gehen wir davon aus, dass es so ist, dass Shakespeare tatsächlich geboren wurde, und zwar in diesem April anno 1564 und zwar in der bei Birmingham gelegenen Stadt - es kann auch anderes behauptet werden, wie dieser Beitrag noch zeigen wird.

Vieles liegt im Dunkeln über Leben und Wirken des William Shakespeare: Schlug am 23. April tatsächlich die Geburtsstunde des „Gulielmus filius Johannes Sakspere“? Wo ging er zur Schule? Wann heiratete er? Wo sind die berühmten „verlorenen acht Jahre“? Und: Welche der überlieferten Sonette sowie der „Comedies, Histories and Tragedies“, die sich in „First Folio“ (herausgegeben von Freunden Shakespeares nach seinem Tod 1616) befinden, sind tatsächlich von ihm? War der Mann aus Stratford gar nur die Lerche, ein anderer jedoch die Nachtigall? Sein oder Nichtsein - Fragen über Fragen.

So hält der Dramatiker noch heute nicht nur das Theaterpublikum in Atem, sondern auch Scharen von Wissenschaftlern. Mit Wortfeldanalysen werden seine Texte und Zeitgenössisches auf den Ursprung hin untersucht, Historiker kramen in Archiven, Literaturwissenschaftler studieren hingebungsvoll Quellen. Nur eines scheint gewiss: Auch im 450. Geburtsjahr werden neue Theorien und Sensationen zu Shakespeares Leben und Sein die Runde machen.

Die Zuordnung Shakespear`scher Werke zu Francis Bacon oder Christopher Marlowe kursiert schon seit langem. Doch aller guten Dinge sind drei: Seit den 1920er Jahren gibt es auch die sogenannte „Oxford-Bewegung“, die nun durch einen deutschen Autoren weiter befeuert wird: Shakespeare war nicht Shakespeare, sondern Edward de Vere, Earl of Oxford, alias „Meritum petere grave“ alias „Master Fortunatus Infoelix“ alias „Spraeta tamen vivunt“ alias „Ferenda Natura“. Unter diesen Pseudonymen – „Es ist schwer, das Verdiente erbitten zu müssen“, „Der unglücklich Beglückte“, „Das Verschmähte lebt dennoch“ und „Die zu ertragende Natur“ – soll der lebenslustige Earl of Oxford (1550-1604) seine Gedichte veröffentlicht haben.

Dass zwischen den Lebensjahren, den vermeintlichen, des Shakespeare aus Stratford-upon-Avon und des Earls eine Lücke klafft und auch ansonsten die Oxford-These nicht allzu sehr gestützt wird, ficht Kurt Kreiler nicht an. Bereits 2009 veröffentlichte der Münchner Schriftsteller das Buch „Der Mann, der Shakespeare erfand“ – und heimste damit ein wenig Lob, vor allem aber viel Kritik und auch Häme ein. Von „Verschwörungstheorien“, „ausgemachtem Humbug“ und „obskurem Geniekult“ war in den Rezensionen die Rede, kurzum: Kreilers Theorie wurde von den Anglisten zunichte gemacht, bestenfalls als exotische Randnotiz zur Kenntnis genommen.

devereDoch Kurt Kreiler bleibt dabei: Es war die Lerche, und nicht die Nachtigall. In einem neu erschienenen Gedichtband beim Insel Verlag – „Der zarte Faden, den die Schönheit spinnt“ – veröffentlicht Kreiler hundert Gedichte des Earls, die er herausgefunden, übersetzt und kommentiert hat. Und wiederholt seine These: „Ein einmaliger Vorgang: Der Dichter – Edward de Vere, Earl of Oxford (1550-1604) – verbirgt seinen Namen von Anfang an hinter einem Schleier. Sein poetisches Werk, das sich von der mausgrauen Dutzendware der Zeit abhebt, wird aus dem Verkehr gezogen, weil es die höfische Gesellschaft provoziert – und entschwindet die nächsten Jahrhunderte den Blicken der Leser. (…) Allerdings gewinnen die Oxfordschen Gedichte ihren Wert nicht durch die mögliche Zuschreibung an William Shakespeare. Umgekehrt: Ihre Qualität stützt die These, dass Edward de Vere, Earl of Oxford, ab 1593 unter dem Pseudonym WILLIAM SHAKESPEARE publizierte.“

Wie Urs Jenny in seinem kenntnisreichen Spiegel-Essay „Der Dichter und sein Doppelgänger“ 2009 so trefflich schreibt: „Die Debatte wird weitergehen. Vielleicht ist das Geheimnis des Autodidakten Shakespeare aus der Provinz ganz einfach: Eben weil man nichts über ihn weiß, traut man dem Mann aus Stratford alles zu.“

Sei es, wie es will – wer „Venus & Adonis“, die vermutlich 1592 entstandene Versdichtung Shakespeares liebt, der wird auch die 100 schönen Gedichte am Faden des Edwards de Vere schätzen.  Shakespeare oder nicht Shakespeare: Gleichwohl, die Verse, zumeist der Liebe gewidmet, sprühen vor Sinnlichkeit, Witz, Lebendigkeit und Übermut.

„Ich weis nicht, ob ich Ew. Gn. beleidigen werde, indem ich Ihnen diese ungefeilten Zeilen zueigne…“ so Shakespeare (vermutlich) in seiner Widmung an den Grafen von Southampton und Freiherrn von Tichfield. Mit diesem Understatement läutet er eines der sinnlichsten Versepen der Literatur ein.

Auszug:
„Der Schweis begann der schönen Stirn
Der liebesiechen Liebesgöttin
Jetzt zu entquillen. Denn
Der Schatten war dem Ort entwichen,
Wo sie mit ihrem Liebling lag;
Und Titan, von der Mittagshitze müd,
Schos einen glühnden Blick auf sie,
Und wünschte dem Adon
Die Zügel seines feurigen Gespanns
Und sich des Knaben Plaz.-
(In der Übertragung von Heinrich Christoph Albert, aus der deutschen Erstausgabe 1793).

Und so schmachtet und spöttelt Edward de Vere:

Und wenn ich`s tat, was dann?

Und wenn ich`s tat, was dann?
Seid Ihr darum betrübt?
Das Meer hat Fisch für jedermann.
Und Ihr? was wollt ihr mehr?

So sprach sie, die ich liebt,
so hat sie mich verwirrt:
und warf mir dies als Frage hin,
in der ich mich verirrt.

Da sagte ich zu ihr:
Ein Fischer wünscht sich wohl,
daß allzeit auf hohem Meer
er ganz alleine wär.

So wünscht` auch ich: umsonst.
Doch da es nicht sein kann,
laßt andre ausfahr`n nach dem Fang
und leer laßt meinen Kahn.

Ein tiefer Abgrund war das Meer (Auszug)
Ein Liebender, den das Meer von seiner Lady trennt, beklagt sich

Ein tiefer Abgrund war das Meer,
das Hero von Leander trennte,
doch kein Bedenken hielt ihn mehr,
es gab nichts, das ihn retten konnte.
Schuldlos gab er sich selber hin,
den Willen Neptuns zu erfülln.

O gier`ger Schlund, verhexte Wellen,
O grause Flut, schmählicher Pfuhl,
gewillt, die Liebenden zu quälen
und Mann und Frau Gewalt zu tun.
Das offne Maul bleibt aufgesperrt,
bis es sein in die Tiefe zerrt.

Wie auch immer man Edward de Vere und die Theorie von Kurt Kreiler einordnen will – unterhaltsam zu lesen sind beide Bücher:

Kurt Kreiler, „Der Mann, der Shakespeare erfand“, insel taschenbuch 4015
Broschur, 595 Seiten, ISBN: 978-3-458-35715-5

Edward de Vere, „Der zarte Faden, den die Schönheit spinnt“, Insel Verlag, gebunden, 401 Seiten, ISBN: 978-3-458-17587-2

F. Scott Fitzgerald malt seinen verehrten James Joyce

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“F. Scott Fitzgerald verehrte James Joyce, hatte aber Angst, sich ihm persönlich zu nähern. Adrienne kochte also ein gutes Abendessen und lud die Joyces, die Fitzgeralds und André Chamson mit seiner Frau Lucie ein. In mein Exemplar von The Great Gatsby zeichnete Scott ein Bild der Gäste - Joyce sitzt mit einem Glorienschein bei Tisch, Scott kniet neben ihm.”
Sylvia Beach, “Shakespeare and Company”, Suhrkamp Taschenbuch