Vicki Baum: Menschen im Hotel (1929).

September_Augsburg 021“Es ist eine dumme Fabel, daß Hotelstubenmädchen durch die Schlüssellöcher schauen. Hotelstubenmädchen haben gar kein Interesse an den Leuten, die hinter Schlüssellöchern wohnen. Hotelstubenmädchen haben viel zu tun und sind angestrengt und müde und alle ein wenig resigniert, und sie sind vollauf beschäftigt mit ihren eigenen Angelegenheiten. Kein Mensch kümmert sich um den anderen Menschen im großen Hotel, jeder ist mit sich allein in diesem großen Kaff, das Doktor Otternschlag nicht so übel mit dem Leben im allgemeinen in Vergleich stellte. Jeder wohnt hinter Doppeltüren und hat nur sein Spiegelbild im Ankleidespiegel zum Gefährten oder seinen Schatten an der Wand. In den Gängen streifen sie aneinander, in der Halle grüßt man sich, manchmal kommt ein kurzes Gespräch zustande, aus den leeren Worten dieser Zeit kümmerlich zusammengebraut. Ein Blick, der auffliegt, gelangt nicht bis zu den Augen, er bleibt an den Kleidern hängen. Vielleicht kommt es vor, daß ein Tanz im gelben Pavillon zwei Körper nähert. Vielleicht schleicht nachts jemand aus seinem Zimmer in ein anderes. Das ist alles. Dahinter liegt eine abgrundtiefe Einsamkeit.”

Vicki Baum, „Menschen im Hotel“, 1929

Vicki Baum musste es wissen, was Hotelstubenmädchen tun: Die Autorin, zeitlebens für ihre Diszipliniertheit bekannt, arbeitete selbst wochenlang in einem Hotel, um für ihren Roman zu recherchieren. Die Mühe machte sich bezahlt: Mit “Menschen im Hotel“ (der Untertitel „Ein Kolportageroman mit Hintergründen“ wurde in den Nachkriegsauflagen unterschlagen) erreichte die gebürtige Österreicherin endgültig ihren literarischen Zenit.

Der Erfolg kam mit Ansage: Baum, die damals beim größten europäischen Verlag, Ullstein, als Redakteurin für mehrere Zeitungen schrieb, hatte bereits im Jahr zuvor mit dem Roman „stud. Chem. Helene Willfüer“ einen Bestseller gelandet. Das Buch im Stil der neuen Sachlichkeit stieß vor allem beim weiblichen Lesepublikum auf Interesse: Erzählt wird von einer jungen Studentin, die ungewollt schwanger wird und sich vergeblich um eine Abtreibung bemüht. Alleinerziehend macht sie dann dennoch beruflich ihren Weg und findet zudem ihr privates Glück. Die Mischung aus Melodram, Unterhaltung und leiser Gesellschaftskritik traf voll auf das Zeitgefühl der Weimarer Republik, vor allem die jungen, modernen Frauen fanden sich in den Büchern Baums wieder. Nach dem ersten Erfolg puschte der Ullstein Verlag die 1888 in Wien geborene Autorin – zu „Menschen im Hotel“ gab es eine richtiggehende Marketingkampagne, in der auch die Schriftstellerin selbst in den Vordergrund gerückt wurde. „Home stories“ und Anzeigen mit dem Gesicht einer Autorin: Das war noch relativ neu.

Endgültig trat das Buch seinen Siegeszug an, als es nicht nur als Theaterstück auf die Berliner Bühnen kam, sondern auch nach London und an den Broadway – Vicki Baum reiste 1931 zur Theaterpremiere nach New York und blieb für volle sieben Monate, auch, um die Filmrechte unter Dach und Fach zu bringen und ein Drehbuch für Hollywood zu verfassen. Durch die Verfilmung von „Grand Hotel“ mit Greta Garbo in der Hauptrolle wurde der Roman endgültig unsterblich. Ein Ruhm, von dem Vicki Baum, die aufgrund ihrer jüdischen Wurzeln 1932 endgültig in die USA übergesiedelt war, ein Leben lang zehren sollte: Denn obwohl weiterhin ungeheuer kreativ und produktiv, konnte sie diesen „Coup“ nicht wiederholen.

Doch an Publicity und Verfilmung allein liegt es nicht, dass „Menschen im Hotel“ auch heute noch lesenswert und ein durchaus bemerkenswertes Buch ist. In ihren 1962 postum erschienenen Memoiren (Vicki Baum verstarb 1960 in Los Angeles) Es war alles ganz anders“ schreibt sie über sich leicht selbstironisch und nicht ohne Bitterkeit als “erstklassige Schriftstellerin zweiter Güte”. Denn obwohl ungeheuer populär und durchaus auch von Kollegen wie Alfred Döblin und den Geschwistern Erika und Klaus Mann anerkannt, blieb Vicki Baum mit einem Stigma behaftet, das es insbesondere in der deutschen Literatur gibt: Dem der „Trivialität“. Anders als in den englischsprachigen Ländern wird hierzulande nach wie vor streng unterschieden – und Unterhaltungsliteratur kann per se nicht literarisch qualitätsvoll sein, vice versa ist „richtige“ Literatur alles, aber bloß nicht unterhaltend!

Dabei traf „Menschen im Hotel“ nicht nur den Nerv der Zeit, sondern kann auch – neben „Berlin Alexanderplatz“ (Besprechung hier: http://saetzeundschaetze.com/2013/11/04/berlin-alexanderplatz-asphaltdschungel-beschritten-von-alfred-doblin/), das im selben Jahr erschien – als einer der großen Berlin-Romane und als ein Dokument des Zeitgefühls der Weimarer Republik bezeichnet werden. Manche Szene zwischen Lebensgier und Niedergang: Sie könnte auch heute spielen, ist zeitlos modern.

Da pulsiert die Großstadt, die Hektik, die Jagd nach Vergnügen und Geld, das Chaos, die Turbulenz, dies alles hat Vicki Baum mit raschen Szenenwechseln, Beschreibungen im Stakkato und atemlosen, schwindelerregenden Passagen – so eine Fahrt über die Avus – perfekt eingefangen:

„Gaigern hatte die Finger voller Ungeduld, sie prickelte wie Kohlensäure zwischen seinen Händen und dem Steuer. An den Straßenkreuzungen hingen rote, grüne, gelbe Lampen, standen Schupoleute und drohten ihm halb lachend mit dem Arm. Menschenscharen bei Straßenecken, vorbei an Obstwagen, Plakatwänden und ängstlichen alten Damen, die zur falschen Zeit über den Fahrdamm trippelten, schwarz und langröckig mitten im März. Die Sonne war feucht und gelb auf dem Asphalt. Wenn ein schwerfälliges Autobustier den Weg verlegte, dann schrie der kleine Viersitzer mit zwei Hupen: wie ein Gebell von gereizten Hunden klang es. (…)

Kringelein starrte Berlin an, das zu Streifen gezerrt an dem Wagen vorüberrannte.“

Während es in Döblins „Berlin Alexanderplatz“ jedoch keine Hoffnung für den Franz Biberkopf und seine Mitstreiter gibt, wo Massenarbeitslosigkeit, Inflation, Verelendung in expressionistisches Grau münden, erzählt Baum eher konventionell, wenn auch durchaus neusachlich, aber eben mit einem Hang zum Melodram. Dennoch: Später wurden lediglich die sentimentalen Töne des Romans hervorgehoben, der ironisch-distanzierte Blick, den Baum wirft auf die Zeitläufte, auf die Politik, aber auch auf ihre Figuren, die bestimmte „Typen“ vertreten, wurden von der Kritik nicht mehr wahrgenommen.

Da ist die alternde Primaballerina, die verzweifelt versucht, ihre Jugendlichkeit zu bewahren (eine durchaus moderne Figur), der Gentlemandieb Freiherr von Gaigern (ein Vorläufer des Felix Krull), der Spießer Preysing, der über seine eigene Gier und Unfähigkeit stolpert, der gutherzige, aber von den Verhältnissen geknechtete Hilfsbuchhalter Kringelein und schließlich „Flämmchen“, eine typische Frauenfigur der neuen Sachlichkeit, wie sie auch im kunstseidenen Mädchen von Irmgard Keun oder bei Lili Grün (Portrait hier: http://saetzeundschaetze.com/2014/02/21/judische-lyrikerinnen-im-portrait-7-lili-grun-neusachlich-und-lebenslustig/)beschrieben wird: Die Stenotypistin, das Ladenmädchen, das sein Glück machen will, gutherzig, aber von einem erotischen Pragmatismus geleitet:

„Sie hatte eine umfangreiche Bilanz zu machen. Der Verzicht auf das angefangene Abenteuer mit dem hübschen Baron stand darin, Preysings schwerfällige fünfzig Jahre, sein Fett, seine Kurzatmigkeit. Kleine Schulden da und dort. Bedarf an neuer Wäsche, hübsche Schuhe – die blauen gingen nicht mehr lange. Das kleine Kapital, das notwendig war, um eine Karriere zu beginnen, beim Film, bei der Revue, irgendwo. Flämmchen überschlug sauber und ohne Sentimentalität die Chancen des Geschäftes, das ihr geboten wurde.“

Der Roman konzentriert die Handlung auf vier Tage und vier Nächte – und schon bald sind Glanz und Glamour, die die Oberfläche im luxuriösen Hotel prägen, durchschaut, kommen die materiellen und die psychischen Nöte zum Vorschein. Insbesondere repräsentiert durch Doktor Otternschlag, dem gezeichneten Kriegsteilnehmer, der einsam Tag für Tag in der Lobby auf Post und menschliche Zuwendung wartet:

Gaigern empfand verwundert, daß dieser blödsinnige Doktor Otternschlag eine Art von Haß gegen ihn zu haben schien. „Das mag Geschmackssache sein“, sagte er leichthin. „Ich habe es nicht so eilig. Mir gefällt das Leben nun einmal. Ich finde es großartig.“

„So. Großartig finden Sie es? Sie waren doch auch im Krieg. Und dann sind Sie heimgekommen, und dann finden Sie es großartig? Ja, Mensch, wie existiert ihr denn alle? Habt ihr denn alle vergessen? Gut, gut, wir wollen nicht davon sprechen, wie es draußen war, wir wissen es ja alle. Aber wie denn? Wie könnt ihr denn zurückkommen von dort und noch sagen: Das Leben gefällt mir? Wo ist es denn, euer Leben? Ich habe es gesucht, ich habe es nicht gefunden. Manchmal denke ich mir: Ich bin schon tot, eine Granate hat mir den Kopf weggerissen, und ich sitze als Leiche, verschüttet die ganze Zeit im Unterstand von Rouge-Croix. Da habense den Eindruck, wahr und wahrhaftig, den mir das Leben macht, seit ich von draußen zurückgekommen bin.“

Ein literarischer Verdienst von Vicki Baum ist es zudem, dass sie die sogenannte „group novel“ gesellschaftsfähig machte: „Menschen im Hotel“ ist einer der ersten „Gruppenromane“ der Unterhaltungsliteratur, in dem eben nicht eine oder zwei Hauptfiguren im Vordergrund stehen, sondern Menschen wie Schauspieler auf einer Drehbühne aufeinandertreffen, deren Wege sich kreuzen, deren Schicksal miteinander zunächst lose verknüpft und dann enger verwebt werden. So wurde „Menschen im Hotel“ auch zu einer Vorlage, die bis heute im TV gerne aufgegriffen wird – seien es Arztserien oder ähnliche „soaps“, sie haben ihre literarische Wurzel hier.

Die Figuren in „Menschen im Hotel“ sind Prototypen, das Privatschicksal, so schrieb der Literaturkritiker Werner Fuld, wird zum Massenartikel, zum Klischee, zur Kolportage. Dass der Kolportageroman jedoch auch Hintergründe (nochmals ein Hinweis auf den ursprünglichen Untertitel) zu bieten hat, das liegt an der eigentlichen „Hauptfigur“ des Roman: Das Hotel, das ähnlich wie bei Joseph Roths „Hotel Savoy“ (Besprechung hier: http://saetzeundschaetze.com/2014/07/03/joseph-roth-hotel-savoy-das-hotel-als-sinnbild-einerr-zerfallenden-epoche/) die Rolle des Katalysators spielt, das der Schauplatz ist, an dem sich aus den Figurenschemen langsam Menschen mit ihren Nöten und Ängsten herausschälen. Diese Nöte hängen eng mit den Verhältnissen einer Gesellschaft am Abgrund zusammen. Ein Hotel, in dem Getriebene und Herrenmenschen aufeinander treffen:

„Was hier in diesem Hotelzimmer aus ihm hervorbrach, war alles in allem die Klage des zarten und erfolglosen Menschen gegen den andern, der einfach und mit etwas Brutalität seinen Weg macht, eine wahre, aber ungerechte und höchst lächerliche Klage…“

Nicht zuletzt führte neben ihrer jüdischen Herkunft auch dieser kritische Blick auf die Zeit, der von den „Trivialitäts-Kritikern“ oftmals unterschlagen wird, mit dazu, dass die Bücher von Vicki Baum von den Nazis auf den Index gesetzt, die Schriftstellerin selbst als „Asphaltliteratin“ bezeichnet wurde und sie schließlich mit ihrer Familie den Weg in das Exil nahm.

Joseph Roth im Kino - Verflixte Gastfreundschaft. Preview mit Buster Keaton.

Our Hospitality (Verflixte Gastfreundschaft bzw. Bei mir Niagara). Angaben zum Film: http://de.wikipedia.org/wiki/Verflixte_Gastfreundschaft

“Bei mir - Niagara” ist der geschmacklose Ha-Ha-Ha-witzige Titel eines amerikanischen Meisterfilms mit Buster Keaton (Der Titel ist nicht amerikanisch). Der Film spielt in der “guten alten Zeit”, der man in Amerika so wenig nachtrauert, dass man sie sogar verspottet. Wer diesen Film sieht, sehnt sich bestimmt nicht mehr in eine Zeit zurück, deren Gemütlichkeit grotesk ist, deren gesellschaftliche Vorurteile barbarisch sind. Es ist ein großes Meisterstück, nicht eine Zeit zu verhöhnen, sondern eine Sentimentalität auszurotten. Das war Sinn und Zweck dieses Films. Nirgends ward ich mir so der Wahrheit bewußt, daß Lächerlichkeit tötet. In diesem Film bricht der neue Mensch endgültig mit der Romantik seiner Vorfahren-Zeit. So ist dieser Film beinahe eine historische Etappe. Wäre er eine geschriebene Satire, er (beziehungsweise sie) käme in die Literaturgeschichte. Eine Filmgeschichte haben wir noch nicht.

Joseph Roth in “Filme. Zwei deutscher und ein amerikanischer.”, erschienen in der Frankfurter Zeitung, 8. Februar 1925

Ganz frisch erschienen ist beim Wallstein Verlag, der in mehreren Büchern die journalistischen Texte und Essays von Joseph Roth neu herausbringt, der Titel “Drei Sensationen und zwei Katastrophen”. Darin versammelt sind die Feuilletons zur Welt des Kinos, zu dem Joseph Roth durchaus ein zwiespältiges Verhältnis hatte. Entsprechend giftig, bissig und zuweilen hintergründig sind seine Zeitungsbeiträge, insbesondere wenn es sich um Schmonzetten des deutschen Kinos handelt. Als “Sneak Preview” auf das Buch, zu dem sicher noch eine eingehende Besprechung hier folgt, zunächst diese 1925 erschienene Lobeshymne auf Buster Keatons Film “Our Hospitality”, der inzwischen unter dem deutschen Titel “Verflixte Gastfreundschaft” bekannt ist. Der Ha-Ha-Ha-witzige Titel “Bei mir Niagara” hat offenbar nicht nur bei Joseph Roth Missfallen erregt.

Auch dieses Buch aus dem Wallstein Verlag überzeugt durch seine sorgfältige Edition. Die beiden Herausgeber Rainer-Joachim Siegel und Helmut Peschina haben für ein fachkundiges Nachwort und ein umfangreiches Quellenverzeichnis mit vielen weiteren Informationen gesorgt. Zu den Verlagsinformationen geht es hier lang: http://www.wallstein-verlag.de/9783835313828-joseph-roth-drei-sensationen-und-zwei-katastrophen.html

In der Zeitung “Das Illustrierte Blatt” - so im Anhang des Buches zu lesen - schrieb Joseh Roth 1926 in seinem Artikel “Die Spaßmacher der Welt”:
“Zwischen ihm (Charlie Chaplin) und Harold Lloyd steht der traurigste Clown: Buster Keaton. Er siegt am Schluß, aber es fällt ihm schwer. Er ist niemals ein Frohlockender. Er kennt keinen Triumph. Fast ist ihm in der Niederlage wohl. Wenn er gewinnt, vergisst er nicht die Relativität des Gewinns.”

Wie treffend! Und deshalb hier zu meinem Favoriten unter den stummen Helden “Our Hospitality” in voller Länge:

Dashiell Hammett: Der dünne Mann (1934).

„Ich kann mir nicht vorstellen, wie ein Detektiv jemals zurechtkommen soll, ohne mit dir verheiratet zu sein, aber übertreiben tust du`s deswegen doch. Studsy, der Morelli anstößt, das ist genau meine Vorstellung von etwas, worüber man sich lange Zeit keine Gedanken zu machen braucht. Eher würde ich mir schon Gedanken darüber machen, ob sie Sparrow fertiggemacht haben, um zu verhindern, dass ich was abkriege, oder um zu verhindern, dass ich was erzählt kriege. Ich bin müde.“
„Ich auch. Sag mir eines, Nick. Sag mir die Wahrheit: als du mit Mimi gerungen hast, hast du da nicht eine Erektion bekommen?“
„Oh, so `n bisschen.“
Sie lachte und stand vom Fußboden auf. „Also wenn du kein widerwärtiger alter Wüstling bist“, sagte sie. „Sieh mal, es ist schon hell.“

Dashiell Hammett, „Der dünne Mann“, 1934.

Die Schlafzimmergespräche von Nora und Nick Charles sind eben etwas anders wie bei anderen Leuten. Mit seinem letzten Roman schuf Dashiell Hammett (1894-1961) das wohl charmanteste und glamouröseste Detektivpärchen der Literatur. Und hinterließ ein literarisches Zeugnis, das scheinbar ganz leicht und leichtlebig von der Krankheit erzählt, die sein Leben jahrelang prägte: Im „dünnen Mann“ wird gesoffen, was das Zeug hält.

Als der Roman 1934 erschien, hatte Hammett wegen seiner Alkoholsucht und einem Leben, das wie eine nimmerendende Party erschien, bereits mehrere Jahre nichts mehr veröffentlicht. Zuvor kam der Rausch – der Rausch des Erfolgs. Der Schulabbrecher, der sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt, als Pinkerton-Detektiv Erfahrungen sammelte und als Pulp-Autor mäßige Resonanz bekam, war auf einer unglaublichen Welle geritten – beinahe im Halbjahrestakt erschienen ab 1929 die Romane „Die rote Ernte“, „Der Fluch des Hauses Dain“, „Der Malteser Falke“ und „Der gläserne Schlüssel“. Dashiell Hammett gilt noch vor Raymond Chandler als Schöpfer der „hard boiled novel“, die realistisch die schwarze Seite Amerikas darstellt: Verbrechen und Korruption in der schönen Neuen Welt.

Diese neue Art der harten Krimis kam an. Hammett wurde zum Liebling Hollywoods, “the hottest thing in town”, wie es die Dramatikerin Lillian Hellman in ihren Erinnerungen formulierte. Hellmann lernte Hammett kennen, als er auf dem Gipfel des Erfolgs stand: Frauenheld, Partylöwe, Dauerzecher. Literarisch jedoch schien er am Ende, wie Hellman 1965 in Erinnerungen an ihn schreibt:

“When I first met Hammett he was throwing himself away on Hollywood parties and New York bars: the throwing away was probably no less damaging but a little more forgiveable because those who were there to catch could have stepped from The Day of the Locust. But he knew what was happening to him and, after 1948, it was not to happen again. It would be good to say that as his life changed the productivity increased, but it didn’t. Perhaps the vigor and the force had been dissipated. But, good as it is, productivity is not the only proof of a serious life and now, more than ever, he sat down to read.”

“Because on the night we had first met he was getting over a five-day drunk and he was to drink very heavily for the next eighteen years. And then one day, warned by a doctor, he said he would never have another drink and he kept his word except for the last year of the one martini, and that was my idea.”

Lillian Hellman und Dashiell Hammett

1948 also wird Hammett „trocken“, doch bis dahin ist es noch ein langer Weg und die schriftstellerische Produktivität längst schon versiegt. Denn sein letzter Roman, „Der dünne Mann“, erscheint 1934, danach nur noch Erzählungen. Gewidmet ist der „dünne Mann“ Lillian Hammett – und durchaus kann man sich vorstellen, dass die Dialoge zwischen Nick und Nora, so locker wie aus einer Noël Coward-Komödie, aus dem „echten“ Leben gegriffen sind. Nick und Nora, Dashiell und Lillian – ein Paar wie Scott und Zelda, Dashiell der große Gatsby des Thrillers, leichtlebig, charmant, hedonistisch. Hellmann schildert den Entstehungsprozess des Krimis:

“I had known Dash when he was writing short stories, but I had never been around for a long piece of work. Life changed: the drinking stopped, the parties were over. The locking-in time had come and nothing was allowed to disturb it until the book was finished. I had never seen anybody work that way: the care for every word, the pride in the neatness of the typed page itself, the refusal for ten days or two weeks to go out even for a walk for fear something would be lost. It was a good year for me and I learned from it and was; perhaps, a little frightened by a man who now did not need me. It was thus a happy day when I was given half the manuscript to read and was told that I was Nora, It was nice to be Nora, married to Nice Charles: maybe one of the few marriages in modern literature where the man and woman like each other and have a fine time together. But I was soon put back in place—Hammett said I was also the silly girl in the book and the villainess.”

Zunächst stößt “Der dünne Mann” jedoch auf wenig Gegenliebe: Etliche Magazine lehnen eine Veröffentlichung ab, zu ungewöhnlich und außer der Reihe ist das Buch, es wird, gemessen an seinen Vorgängern, als “zu leicht” empfunden. Tatsächlich ist es das am wenigsten „schwarze“, das komödiantischste und leichteste seiner Bücher, wenn es auch immer noch genügend „Hard-boiled“ -Elemente und eine spannende Story in sich birgt. Als es dann herauskommt, straft der Erfolg alle Kritiker lügen – schon kurz nach Erscheinen des Buches kommt die Verfilmung mit William Powell und Myrna Loy ins Kino, weitere Dünne-Mann-Geschichten, die Hammett als Auftragsarbeiten für Hollywood schreibt, und Filme mit der Erfolgsbesetzung folgen.

Myrna Loy und William Powell als Nora und Nick.

Nick Charles ist durchaus ein Abbild Dashiell Hammetts zu der Zeit, als dieser Lillian Hammett kennenlernt: Der frühere Detektiv, der inzwischen den Ehestand, das ironische Geplänkel mit seiner Liebsten, aber auch die täglichen Drinks genießen will.

Nora konnte in dieser Nacht nicht schlafen. Sie las Schaljapins Erinnerungen, bis ich zu dösen begann, worauf sie mich mit der Frage weckte: „Schläfst du?“
Ich bejahte es.
Sie steckte eine Zigarette für mich an und eine für sich selber. „Spielst du nie mit dem Gedanken, dich ab und zu bloß so aus reinem Vergnügen wieder einmal als Detektiv zu betätigen? Ich meine, wenn irgendwas Besonderes anliegt, wie die Lindb—„
„Liebling“, sagte ich, „mein Tip lautet, dass Wynant sie umgebracht hat und die Polizei ihn auch ohne meine Mithilfe schnappen wird. Für mich jedenfalls ist das völlig bedeutungslos.“
„Das habe ich nicht eigentlich gemeint, aber —„
„Aber außerdem habe ich auch nicht die Zeit dazu. Ich bin viel zu sehr damit beschäftigt, darauf aufzupassen, dass du keinen Cent von dem Geld verlierst, um dessentwillen ich dich geheiratet habe.“ Ich küsste sie. „Meinst du nicht, ein Drink würde dir vielleicht zum Schlaf verhelfen?“
„Nein, danke.“
„Vielleicht, wenn ich einen nehme.“

Alles Abwehren jedoch fruchtet nicht: Nick Charles wird wider Willen in einen komplizierten Mordfall hineingezogen und auch bei der einen Leiche bleibt es nicht. Schon der erste Absatz des Buches zieht mitten hinein in den Fall – und in die „coole“ Welt des Detektivs:

„Ich lehnte am Tresen eines Speakeasy in der Fifty-second Street und wartete darauf, dass Nora ihre Weihnachtseinkäufe beendete, als ein junges Mädchen, das mit drei anderen Leuten an einem Tisch gesessen hatte, aufstand und zu mir herüberkam. Es war zierlich und blond, und ob man sein Gesicht betrachtete oder seine Gestalt in dem rauchblauen Sportkostüm, das Ergebnis war gleichermaßen zufriedenstellend.“

Das Mädchen, Dorothy, ist die Tochter eines früheren Klienten von Nick Charles, dem Erfinder Clyde Wynant. Und sie ist, wie der Herr Papa und der Rest der Familie, mit „exzentrisch“ noch wohlwollend beschrieben. Die Herrschaften, samt der dubiosen Sekretärin und Geliebten des Erfinders, die als erste ihr Leben lassen muss, sind allesamt sinister und hinter dem Geld des „dünnen Mannes“ her (erst mit den Nachfolgefilmen wird der Detektiv selbst zum „dünnen Mann“). Charles will sich heraushalten und gemütlich seine Weihnachtscocktails süffeln – bis jedoch nächtens ein Krimineller in seinem Schlafzimmer steht, mit der Pistole wedelt, die Polizei für Randale sorgt und nicht zuletzt Ehegattin Nora ihre Neugierde nicht bezähmen kann. Mit viel Witz und ebenso viel Spannung wird die Geschichte temporeich vorangetrieben. Und endet mit einer Überraschung: Alle sind verdächtig, aber der Mörder ist…

Noch einige Worte zur Verfilmung:
Dass in den 30erJahren auf der Leinwand noch munter geraucht und getrunken werden durfte, ist klar. Aber ein Wort wie „Erektion“ (siehe Eingangszitat)? No way. Die größte Freiheit erlaubte sich Hollywood jedoch bei der Besetzung der heimlichen Hauptrolle: Asta.
Dabei erklärt Nick Charles im Roman dazu noch ausdrücklich:

„Am Nachmittag ging ich mit Asta spazieren, machte zwei Leuten klar, dass sie ein Schnauzer sei und keine Mischung aus schottischem und irischem Terrier…“

Und was sieht man auf der Leinwand???

 

 

 

 

 

 

Lillian Hellmans Erinnerungen an Dashiell Hammett: http://www.nybooks.com/articles/archives/1965/nov/25/dashiell-hammett-a-memoir/

Bertolt Brecht und der Film: Keine einfache Geschichte

Bertolt Brecht war zwar vom Medium Film fasziniert, hatte aber damit kein Glück. BB und der Film – das war weniger episches Theater, sondern ein Drama ohne Ende.

Dabei fing alles so gut an: Bereits 1923 arbeitet Brecht, damals 25 Jahre alt, mit dem Regisseur Erich Engel und mit Karl Valentin zusammen. Die „Mysterien eines Frisiersalons“ erinnern streckenweise an den Surrealismus im „andalusischen Hund“ von Luis Buñuel, sind aber auch komisch, humoristisch und ein wenig chaotisch. Der Film galt lange als verschollen, wurde jedoch in den 70erJahren wiederentdeckt und restauriert.

1930 machte sich Georg Wilhelm Pabst an die Verfilmung der Dreigroschenoper. Brecht, zunächst noch aktiv mit dabei, zerwirft sich mit Regisseur und Produktionsfirma, will den Film, auch vor dem Hintergrund des aufdämmernden Nationalsozialismus, mit eindeutigerem politischen Inhalt versehen. Die Streitigkeiten führen zum sogenannten Dreigroschenprozeß. Brecht schrieb unter dem Titel „Der Dreigroschenprozeß. Ein soziologisches Experiment“ eine Analyse des Rechtsstreits, die er zusammen mit dem Filmexposé und dem Text der „Dreigroschenoper“ veröffentlichte.

1931 ist BB jedoch wieder bereit für das Medium Film – er arbeitet am Drehbuch von „Kuhle Wampe oder wem gehört die Welt?“ mit. Der 1932 erschienene Streifen von Slatan Dudow ist benannt nach dem Zeltplatz Kuhle Wampe in Berlin am Müggelsee, einer der vielen Originalschauplätze, an denen gedreht wurde. Geschildert wird das Schicksal einer Arbeiterfamilie und eines jungen Pärchens, dessen Verbindung angesichts der ausweglosen Massenarbeitslosigkeit ohne Zukunft erscheint. Der Film hat – auch durch den Dreh an Originalschauplätzen und mit „echten“ Arbeitslosen neben erfahrenen Schauspielern – streckenweise dokumentarischen Charakter, zeichnet ein realistisches Bild der Verelendung in der Weimarer Republik. Kuhle Wampe war der einzige eindeutig kommunistische Film dieser Zeit – bis hin zu Arbeitern, die das Lieder der „Solidarität“ singen – und wurde nicht nur unter großen Schwierigkeiten gedreht, sondern prompt auch von der Zensur verboten. Nach Protesten wird der Film mit einigen Änderungen freigegeben, Brecht macht dem Zensor das ironische Kompliment, dieser zumindest habe den Film wirklich verstanden - nicht als Darstellung eines individuellen Schicksals, sondern als offene Kritik an den gesellschaftlichen Bedingungen: „Der Inhalt und die Absicht des Films geht am besten aus der Aufführung der Gründe hervor, aus denen die Zensur ihn verboten hat.“

Dann die Zeit des Exils. Letztlich verschlägt es Brecht, wie viele andere Autoren, nach Hollywood. Wie andere ist er gezwungen, dort zu antichambrieren und arbeitet für den Broterwerb an Drehbüchern für die Traumfabrik mit. Seine Erfahrungen in dieser Zeit (siehe auch den Beitrag über Brecht im Exil) hat er in den bitteren Hollywood-Elegien verarbeitet:

1943 jedoch hat Brecht die Chance, an einem ambitionierten Filmprojekt mitzuwirken – unter der Regie von Fritz Lang, ebenfalls einem Exilanten, entsteht „Hangmen also die“ – „Auch Henker sterben“. Die beiden Künstler kannten und schätzten sich bereits in den Tagen der Berliner Zeit. Als Brechts Lage im schwedischen Exil angespannt wird, sorgte Lang, der in Hollywood schnell Fuß gefasst hatte und seine Karriere fortsetzen konnte, mit dem European Film Fund dafür, dass Brecht, Weigel, sowie die beiden Kinder und Ruth Berlau Visa für die USA bekamen, 1941 traf die Familie in Los Angeles ein.

Der Film „Auch Henker sterben“ erzählt bereits ein Jahr nach dem Attentat auf Reinhard Heydrich in Prag 1942 eine spannende Geschichte aus dem tschechischen Widerstand und der Fahndung der Gestapo nach dem Attentäter. Doch schon während der Dreharbeiten kommt es zwischen Lang und Brecht zu Differenzen. Der cholerische Lang tobt gegenüber Brecht und dem ebenfalls linksgerichteten Co-Autoren John Wexley, er „scheiße auf Volksszenen“, er wolle ein Hollywoodpicture machen. Ungerechtigkeiten bei der Bezahlung – Brecht sollte wesentlich weniger als Wexley erhalten -, Kürzungen im Skript, charakterliche Unverträglichkeiten taten ihr weiteres. Die Zusammenarbeit wurde zum Desaster und gipfelte in einer Anhörung vor der „Screen Writer`s Guild“, weil Wexley als der eigentliche Autor genannt werden wollte, Brecht jedoch nur unter ferner liefen aufgeführt wurde. Die Schiedsstelle entschied zugunsten des Amerikaners. Brecht legte danach die Arbeit am Film nieder, begegnete auch Fritz Lang nicht mehr.

Doch was übrig bleibt: Zum einen überstand auch diese Episode die Freundschaft zwischen Brecht und Hanns Eisler, der als Komponist auch an den früheren Filmen mitgearbeitet hatte. Und vor allem: „Hangmen also die“ ist, wenn auch viele der Ideen und Vorstellungen Brechts nicht verwirklicht werden konnten, eines der wichtigsten Filmwerke geworden, das noch während des Nationalsozialismus eindeutig Stellung gegenüber der deutschen Tyrannei bezog.

Lang setzte dem verlorenen Freund BB später noch ein cineastisches Andenken, so der Filmwissenschaftler Peter Ellenbruch:

„Im Gegensatz zu Brecht, der ein Gegner Langs geblieben sein soll, hat sich Lang immer wieder positiv zu Brecht geäußert, ihn als einen wichtigen Autor geschätzt und sich von seinem Werk inspirieren lassen. So baute er 1963 eine Brecht-Hommage in LES MEPRIS von Jean-Luc Godard ein – in welchem er sich selbst spielte – und die Buchstaben „BB“ stehen innerhalb des Films plötzlich nicht mehr für die Hauptdarstellerin Brigitte Bardot, sondern einen Moment lang für Bert Brecht.“

Zum Weiterlesen: Bert Brecht und der Film bei der Defa-Stiftung.

 

Udo Bayer: Carl Laemmle und die Universal – eine transatlantische Biografie (2013).

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„Im Gesamtzusammenhang der rekonstruierbaren Fakten lassen sich Laemmles Auswanderungsmotive mit großer Wahrscheinlichkeit so rekonstruieren, dass er einerseits die nur bescheidenen beruflichen Aussichten mit den vermuteten Chancen in Amerika vergleicht, das zudem der Familie nicht ganz fremd ist und zusätzlich noch die Verlockungen einer den Jugendlichen faszinierenden Welt des Abenteuerlichen verspricht. So betrachtet fällt er auch aus der Typisierung heraus, die Hertzberg für die jüdischen Einwanderer Amerikas gibt. „Eine unglückliche europäische Vergangenheit“ Laemmles gibt es nicht, denn hiergegen spricht schon seine spätere Anhänglichkeit an seine Geburtsstadt.“

Dr. Udo Bayer, „Carl Laemmle und die Universal – eine transatlantische Biografie“, Verlag Königshausen & Neumann, 2013, ISBN 978-3-8260-5120-3.

Von dem hier die Rede ist, ist Carl Laemmle, 1867 in der oberschwäbischen Kleinstadt Laupheim geboren – einer, der sich 17jährig aufmacht, um in Amerika sein Glück zu machen, und wenige Jahre später mit anderen gemeinsam den Grundstein zur „Traumfabrik“ legt: Carl Laemmle gründete 1912 über die Universal Pictures diese Kunststadt namens Hollywood.

Laemmles Geschichte ist jedoch weit mehr als die einer besonders erfolgreichen Auswanderung. Seine Biographie ist auch ein wesentlicher Teil der Geschichte des Judentums in Oberschwaben und Bayern – von der Ansiedlung in den schwäbischen Gemeinden, in denen die jüdischen Familien mit beschränkten Rechten als „Fremdkörper“ ihre Existenz aufbauten (noch heute gibt es in Laemmles Geburtsstadt beim Standort der ehemaligen Synagoge einen „Judenberg“) über die langsame Assimilation, Integration und Emanzipation, bedingt vor allem durch den wirtschaftlichen Erfolg der jüdischen Gemeinden, über die Auswandungsbewegung ab den 1860er Jahren bis hin zum Holocaust. Laemmle, der seinem Geburtsort sein Leben lang verbunden blieb, ihn besuchte und finanziell als Mäzen auftrat – so stiftete er das Volksbad, gründete eine Armenstiftung und half durch zahlreiche Spenden – verhalf mehr als 300 Juden mit so genannten Affidavits zur Flucht aus Deutschland während des NS-Regimes. Ein Zeichen setzte er auch in seiner Arbeit: So produzierte er nicht nur Kassenschlager wie „Das Phantom der Oper“ oder den „Glöckner von Notre-Dame“, sondern (bzw. sein Sohn Julius) auch „Im Westen nichts Neues“ nach dem Roman von Erich Maria Remarque. Buch und Film – beides die Anti-Kriegsklassiker per se – wurden im Deutschen Reich verboten.

Lange blieb die Geschichte Laemmles auch in seiner Heimatstadt verborgen. Engagierte Bürgerinnen und Bürger widmen sich dort seit Jahren der Aufarbeitung des Schicksals der jüdischen Gemeinde, die im württembergischen Laupheim zeitweise eine der größten Gemeinden des Königreichs war. Sie geht auf einige jüdische Familien aus Illereichen und Buchau zurück, die 1724 durch Reichsfreiherr Anton v. Welden als Schutzjuden in Laupheim „zur Belebung des Laupheimer Markts” angesiedelt wurden.

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Gedenktafel am Geburtshaus in Laupheim, Landkreis Biberach a.d. Riß

Auch Dr. Udo Bayer, Gymnasiallehrer im Ruhestand, widmet sich seit Jahren der Erforschung dieses Aspekts der Lokalgeschichte. Seit 1988 recherchierte er insbesondere zum Leben Carl Laemmles – akribisch und mit hohem Aufwand. Denn von Laemmle selbst sind nur wenige Zeugnisse erhalten, zudem gab es bislang nur eine als Auftragsarbeit 1931 verfasste Biographie des Filmmoguls mit Wurzeln im Schwabenland. Mit seinem Buch schließt Dr. Bayer eine Lücke – in der Filmgeschichte und der jüdischen Geschichte. Bayer zeichnet ebenso den auf tragische Weise parallel einhergehenden Niedergang nach – die Universal Pictures kommen in finanzielle Schwierigkeiten just zu jener Zeit, als Laemmle in der alten Heimat mehr und mehr zur persona non grata, zum „Filmjuden“ gebrandmarkt wird. Durch die Weltwirtschaftskrise ins Strudeln geraten, muss Laemmle 1936 sein Unternehmen verkaufen. 1939 stirbt er an einem Herzinfarkt in seiner Villa in Beverly Hills.

In Laupheim wird die erst seit 1927 so getaufte Carl-Laemmle-Straße 1933 wieder umbenannt – nichts darf an den früheren Gönner und Wohltäter der Stadt erinnern. Noch in den 90erJahren löst der Vorschlag, das örtliche Gymnasium nach dem berühmtesten Sohn der Stadt zu nennen, hitzige Debatten aus. Heute gibt es in Laupheim Museum zur Geschichte von Christen und Juden (ein Zweig des Haus der Geschichte Baden-Württembergs), eine Abteilung ist Carl Laemmle gewidmet. www.museum-laupheim.de

Unweit davon ist der jüdische Friedhof zu finden (die Synagoge wurde in der so genannten „Reichskristallnacht“ abgebrannt). An den Grabstätten zeigt sich die enge Verflechtung der jüdischen Familien in Laupheim, auch zu den anderen schwäbischen Gemeinden – so sind hier auch Gedenken an die Verwandten des gebürtigen Ulmers Albert Einstein zu finden. Einstein und Laemmle – zwei Schwaben in Amerika, die dort bei Begegnungen ihr „Schwäbisch“ pflegten (siehe: http://saetzeundschaetze.com/2013/11/13/albert-einstein-und-carl-laemmle-im-gesprach/).

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Jüdischer Friedhof in Laupheim. Bild: Michael Böllinger

Eine der vielen tragischen Geschichten dieser Zeit erzählen auf diesem Friedhof drei Grabsteine, die durch ihre Nähe zueinander auffallen. Sie sind mehr noch als spätere cineastische Erzeugnisse der Traumfabrik zur Shoah für mich ein Sinnbild für den bestialischen Wahnsinn dieser Zeit.

Es ist die Geschichte der Schwestern Sally, Jette und Therese Kirschbaum. Die hochbetagten Schwestern, die ohne weitere Verwandte in Laupheim verblieben und unter den letzten Überlebenden der jüdischen Gemeinde waren, wählten angesichts der drohenden Deportierung den Freitod.

Unter http://steinheim-institut.de/cgi-bin/epidat?sel=lau&inv=388 findet man nur folgende Auskunft: „Die drei betagten Schwestern, Betreiberinnen einer kleinen Gemischtwarenhandlung, wählten an drei aufeinanderfolgenden Tagen den Freitod, nachdem sie ihres Heimes verwiesen und in Baracken zwangsumgesiedelt wurden. Sie sind unter den Laupheimer Opfern der Nationalsozialisten verzeichnet.“

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 flohen 126 von 235 jüdischen Einwohnern ins Ausland, die meisten von ihnen nach der sogenannten Reichspogromnacht im November 1938. In dieser Nacht wurde auch die Laupheimer Synagoge in Brand gesteckt. Im folgenden Jahr wurden die noch verbliebenen jüdischen Bürger innerhalb von Laupheim in das Barackenlager Wendelinsgrube zwangsumgesiedelt und in den Jahren 1941 und 1942 schließlich in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert. Nach dem letzten von vier Transporten am 19. August 1942 hörte die jüdische Gemeinde in Laupheim auf zu existieren.

Soweit man weiß, haben nur zwei Mitglieder der einstmals blühenden jüdischen Gemeinde den Nationalsozialismus überlebt. Umso wichtiger das Engagement von Menschen wie Dr. Udo Bayer, die die Erinnerung wachhalten.