„Berlin 1936“: Keine Goldmedaille für Oliver Hilmes

2016-07-30 09.23.58„Und Adolf Hitler? Der Reichskanzler nimmt an dem Empfang seiner Regierung nicht teil. Wie alles in diesen Olympiatagen, so ist auch Hitlers Fernbleiben Teil einer Inszenierung. Er kultiviert das Bild des unermüdlich arbeitenden „Führers“ und treusorgenden Übervaters, dem Amüsement und Geselligkeiten nichts bedeuten. Hitlers Popularität erreicht im Sommer 1936 einen Höhepunkt und wirkt nun auch tief in die Arbeiterschaft hinein.“

Oliver Hilmes, „Berlin 1936. 16 Tage im August“, Siedler Verlag, 2016.

Geschichtsvermittlung, die zum Pageturner wird? Barbara Tuchmann kann es, Bill Bryson kann es und Florian Illies gelang mit seinem „1913- Der Sommer des Jahrhunderts“ ein Bestseller. An dem aktuellen Olympia-Buch des Historikers und Publizisten Hilmes erinnert nicht nur der Titel an den Illies-Coup - auch das Rezept ist ein ähnliches: Man nehme ein Ereignis, einen Zeitraum, eine Epoche, gruppiere um eine These eine Fülle von dokumentierten Anekdoten rund um mehr oder wenige berühmte Zeitgenossen und runde diese populäre Art der Geschichtsvermittlung durch einen gut lesbaren Erzählstil ab.

Das perfekte Rezept für ein lesbares Geschichtsbuch light. Die Frage ist also nicht, ob man es lesen kann - ja, man kann, Hilmes ist ein geschickter Erzähler. Auch wenn der etwas redundante Hinweis darauf, dass sich „in wenigen Tagen“ das Schicksal von XY „ändern“ wird, die fröhlichen Tage überhaupt gezählt sind und bald ein Ende haben werden, mich als Leserin eher ärgert - Hilmes hätte es nicht nötig gehabt, durch solche Kniffe seine Leser bei der Stange zu halten.

Die Frage jedoch ist: Muss man es lesen? Während Illies, um das „Sommer-1913-Buch“ als Vergleichsmaßstab anzulegen, seine Anekdoten-Sammlung geschickt um eine These knüpft - nämlich jene, dass sich am Vorabend des Ersten Weltkrieges an unterschiedlichen Orten und Plätzen der Welt Künstler aller Genres zu kreativen Höhenflügen aufmachten, bevor die Götterdämmerung eintraf - so fehlt es dem Buch von Hilmes im Grunde an einem Überbau, einer neuen Idee, einer neuen Erkenntnis, die es zu den Olympischen Spielen im Nazi-Regime geben könnte. Und dadurch ist es, wenngleich auch gut erzählt, am Ende doch nicht viel mehr als eine Anekdotensammlung - in der vieles angerissen, für meinen Geschmack aber zu wenig vertieft wird.

80 Jahre nach den sportlichen Wettkämpfen in Berlin ist dies flott erzählte Werk der Marke „Histotainment“ für den Verlag mit Sicherheit ein gelungener Marketingzug. Hilmes verknüpft mehrere Erzählstränge, die aus verschiedenen Perspektiven die Olympiade 1936, die nach Willen der Nazis eine Leistungs-Demonstration von Hitler-Deutschland und ein Festspiel der Propaganda werden sollte, beleuchten.

Während im Berliner Stadion die Athleten um Spitzenleistungen und Weltrekorde wetteifern, brüten in der Reichskanzlei Hitler und Konsorten bereits über Kriegsplänen und dem Bau von Konzentrationslagern (Joseph Goebbel in seinem Tagebuch: „Nach der Olympiade werden wir rabiat“). Der Schriftsteller Thomas Wolfe taumelt etwas orientierungs- und ahnungslos durch sein geliebtes Berlin, bis ihm, der selbst vom Antisemitismus amerikanischer Bauart angekränkelt ist, die Augen geöffnet werden über die wahren Absichten der menschenverachtenden Diktatur. Mascha Kaléko leidet derweil an Liebeskummer, Leni Riefenstahl überwallen erotische Gefühle im Stadion angesichts diverser Muskelpakete, während Martha Dodd, die Tochter des US-Botschafters um Penisse flattert „wie ein Schmetterling.“ Und in den Lokalen rund um den Kudamm noch einmal die „Roaring Twenties“ nachgeholt werden.

Weniger aus der Abteilung „Klatsch und Tratsch“ wäre in meinen Augen mehr gewesen - ich muss nicht unbedingt mit dem Schicksal jedes Gigolos, der mit dem Geld einer reichen Berlinerin einen Club eröffnet hatte, vertraut gemacht werden. Dagegen wären einige erläuternde Worte zum Schriftsteller Ernst von Salomon, der immerhin mehrfach zitiert wird, wünschenswert gewesen: So erweckt das wenige an Zitaten einen irreführenden Eindruck dieses Autoren, der immerhin in seiner Jugend am Rathenau-Mord beteiligt gewesen war. Und Gretel Bergmann, die jüdische Leistungssportlerin, die als „Alibi“ eigens für die Olympischen Spiele von den Nazis zurück nach Deutschland geholt wurde und dann doch nicht antreten durfte - sie wird nur in einem kurzen Absatz erwähnt.

Es mag nun kleinkariert erscheinen, solche Auslassungen aufzuzählen. Aber etwas mehr an mancher Stelle an vertiefendem Hintergrund, dafür an anderer Stelle Verzicht auf nur Angerissenes - und das Buch hätte an Substanz gewonnen.

Zwar gelingt Hilmes durch seine Verknüpfung von Sport& Politik, Kultur& Halbwelt und einigen Hinweisen auf die anhaltende Verfolgung von Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen, politisch Andersdenkenden und Intellektuellen es durchaus, den widersprüchlichen Charakter dieser Berliner Tage vom 1. bis zum 16. August 1936 aufzuzeigen. Doch außer Atmosphäre lässt dieses Buch wenig zurück – ein Lesehäppchen, das vor allem anregt, Originaltexte über diese Olymiade 1936 und diese Zeit zu lesen.

Positiver gestimmte Besprechungen finden sich bei der „Frankfurter Rundschau“ und „Zeichen & Zeiten“.


Weiterführende Literatur:

 „Reisen ins Reich 1933 bis 1945“, Herausgeber Oliver Lubrich, Eichborn Verlag, 2004.

In dieser Sammlung mit dem Untertitel „Ausländische Autoren berichten aus Deutschland“ finden sich auch Texte der bei Hilmes oftmals erwähnten Diplomatentochter Martha Dodd wieder, die mit der Zeit und zunehmenden Erfahrungen mit der Nazi-Clique eine kritische Sicht auf die Dinge entwickelt. Später wird sie politisch aktiv und offenbar für den sowjetischen Geheimdienst tätig. Enthalten ist zudem die 1937 entstandene Kurznovelle von Thomas Wolfe, die auch im Hilmes-Buch Erwähnung findet: „I have a thing to tell you“. Wolfe schildert, wie bei seiner Ausreise aus Deutschland ein jüdischer Anwalt von den Nazis aus dem Zug gezerrt und verschleppt wird. Wolfe, Antisemit amerikanischer Machart und bis dahin großer Deutschland-Liebhaber, kehrt nie wieder in das „Reich“ zurück.
Neben zahlreichen kritischen bis hin zu entsetzten Stimmen beinhaltet dieses Buch auch Texte von Anhängern des Faschismus wie Svend Hedin und Wiking Jerk. Einige Namen, so Sartre und Camus, sind wohl mehr wegen ihrer Prominenz vertreten, ihre während der jeweiligen Deutschlandaufenthalte entstandenen Texte sind jedoch eher von geringer Aussagekraft über das „Dritte Reich“. Überraschend dagegen der frech-zynische George Simenon, der als Reporter unterwegs war („Hitler im Fahrstuhl“), spürbar wird die Beklemmung, die Virginia Woolf bei einer Reise durch Süddeutschland empfindet, Samuel Beckett berichtet voller Abscheu von seinen Erlebnissen mit den Deutschen.

Insgesamt sind 33 Autorinnen und Autoren in diesem Buch vertreten: Dadurch entsteht ein vielschichtiges, zeitgenössisches Bild vom Nationalsozialismus und den Deutschen, gesehen aus der Perspektive von außen.

Weitere Informationen  zum Buch bei „Die andere Bibliothek“.


„Ich war die große jüdische Hoffnung“, Gretel Bergmann, G. Braun Buchverlag

20160803_133517Gretel Bergmann, 1914 in Laupheim, Baden-Württemberg, geboren, war eine der besten deutschen Hochspringerinnen – und sie ist Jüdin (die alte Dame feierte vor wenigen Wochen ihren 102. Geburtstag!). 1933 tritt der Ariererlaß in Kraft: Die junge Sportlerin wird aus ihrem Verein ausgeschlossen, darf an keinen Wettkämpfen mehr teilnehmen, studieren darf sie auch nicht. So geht sie 1934 nach England – wo sie prompt britische Meisterin im Hochsprung wird. Als, wie es auch Hilmes schildert, die USA und andere mit dem Boykott der Olympiade drohen, sollten keine jüdischen Sportler zugelassen sein, holt man Gretel Bergmann unter Zwang „heim ins Reich“. Doch kurz vor den Wettspielen wird sie unter fadenscheinigen Gründen wieder ausgeschlossen – ihr Schicksal wurde unter dem Titel „Berlin `36“ verfilmt, wenn auch fiktional etwas „aufgepeppt“.

In ihrer temperamentvoll formulierten Autobiographie blickt die „verhinderte“ Olympiasiegerin auf diese Jahre zurück und ihre eigenen Ängste und Gewissensnöte zurück: Jeder Sieg bei den Wettbewerben vor der Olympiade war ein Sieg über „die Unlogik der bösartigen Theorien Hitlers“:
„Ich hatte triumphiert, hatte ihnen Trotz geboten, mich behauptet und auf ausgesprochen befriedigende Weise gerächt. Aber bei aller Euphorie hatte ich auch Angst.“

Erst später erkannte die junge Frau:
„Unter den wachsamen Augen der Auslandspresse und des Internationalen Olympischen Komitees mußte Hitler sein Versprechen halten. Ich war in gewisser Weise ihre Eintrittskarte, und deshalb konnte mir nichts passieren. Sie brauchten mich, um das Ziel einer Olympiade par excellence zu erreichen. Es war reine Ironie, dass ausgerechnet ich, die Jüdin, den Deutschen zu ihrer größten Stunde verhalf. Wie müssen sie mich gehasst haben!“

Mehr Informationen und eine Leseprobe in „Die Zeit“.


 „Memoiren“, Leni Riefenstahl, Knaus Verlag, 1937

Ganz anderer Art dagegen die Erinnerungen der Leni Riefenstahl, jene innovative Regisseurin, die sich in den Dienst der Nazis stellte. Vor den beiden Olympiafilmen „Fest der Völker“ und „Fest der Schönheit“ hatte die Riefenstahl schon mit ihren Propagandafilmen 1933 und 1934 dazu beigetragen, den Menschen bestimmte Bilder von Macht und Willen einzubrennen.
Auch die Ästhetik ihrer Olympiafilme ist, wenn auch in gewisser Weise faszinierend, so doch von diesen „herkulischen“ Typen geprägt, vermittelt ein ganz bestimmtes Bild. In ihren „Memoiren“ pflegt sie das Image der missverstandenen Künstlerin, zeigt sich uneinsichtig und wenig selbstreflektierend. Um Politik sei es ihr nie gegangen, sie habe nur für die Kunst, die Filmkunst an sich gelebt – was widersinnig ist, wenn Kunst in den Dienst politischer Propaganda gestellt wird. Die „Memoiren“: Verschriftlichte Lebenslügen, Selbstverleugnung, Verharmlosung – ich konnte die selbstverliebte Inszenierung kaum ertragen beim Lesen.


„Der Fragebogen“, Ernst von Salomon, Rowohlt Verlag, 1951

13417549_2058274291063778_1586548464118354953_nInteressanterweise war Ernst von Salomon (1902 – 1972) ein Freund des Verlegers Ernst Rowohlt (er wird in diesem Zusammenhang auch an der einen und anderen Stelle im Hilmes-Buch erwähnt), war zudem im Verlag zeitweise als Lektor tätig. Aber von Salomon war auch: In Jugendjahren Freikorps-Anhänger, am Kapp-Putsch und am Rathenau-Mord beteiligt, preußisch und großnational eingestimmt.
Durch sein „Preußentum“ und seine jüdische Lebensgefährtin war von Salomon zwar in Distanz zum Nationalsozialismus, aber doch Vertreter einer rechten, erzkonservativen Denkungsart. Deutlich wird dies an „Der Fragebogen“. Das Buch wurde nach seinem Erscheinen Anfang der 1950er Jahre zum Bestseller. Das traf wohl den Nerv der Zeit: Eine schwafelhafte Rechtfertigung für stramm rechtes Denken. Das Buch mag als Zeitdokument wichtig sein – mir selbst war zu viel von Preußentum etc. die Rede. Nach einem Viertel abgebrochen und in die Ecke gepfeffert.
Der Titel des Buches bezieht sich auf die Entnazifizierungs-Fragebögen in der amerikanischen Besatzungszone. Von Salomon greift dies formal auf und beantwortet die 131 Fragen, nutzt dies als Plattform für eine zurechtfrisierte Autobiographie.

 

Verfasst von

Das Literaturblog Sätze&Schätze gibt es seit 2013. Gegründet aus dem Impuls heraus, über Literatur und Bücher zu schreiben und mit anderen zu diskutieren.

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